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Marbach präsentiert »Thomas Mann in Amerika«

Das Literaturmuseum der Moderne in Marbach beleuchtet das amerikanische Exil Thomas Manns. Eindrücke des Eröffnungsabends vom Lektor Roland Spahr.

Marbach
© © Chris Korner / DLA Marbach

Ein klarer Himmel, beinahe Vollmond und klirrende Kälte. Rasch füllt sich der Humboldtsaal des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, zahlreiche Gäste sind angereist, Journalisten, Verleger, Literaturwissenschaftler, aber auch passionierte Leser und Thomas-Mann-Fans. Niemand will sich entgehen lassen, wenn an diesem Abend Frido Mann, der Enkel Thomas und Katia Manns, über seine Erinnerungen an die Großeltern in Amerika berichtet. 

Thomas Mann, der schon ab 1933 in der Schweiz lebte, emigrierte 1938 in die USA, wo er sich zunächst in Princeton niederließ, bevor er 1941 nach Kalifornien übersiedelte und ein Jahr später sein eigenes Haus in Pacific Palisades bezog. Vor allem unter der Regierung Roosevelt stellte sich Amerika für Thomas Mann als liberales, demokratisches und humanes Gegenmodell zum nationalsozialistischen Deutschland dar. Mit seinen Zeitungsberichten, Vortragsreisen und vor allem seinen Radiobotschaften an die »Deutschen Hörer« kämpfte Thomas Mann von Amerika aus unermüdlich gegen Hitler und die Nazis.

Frido Mann führt in Marbach eindrucksvoll vor Augen, wie dramatisch sich die Situation nach dem Tod Roosevelts und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den USA veränderte. Ein paranoider Antikommunismus führte zu Überwachung, zu schwarzen Listen, Denunziationen und Verhören, die sich ab 1947 ins Hysterische steigerten. Frido Mann zitiert aus dem Tagebuch seines Großvaters: »Mangelhafter Nervenzustand. Bedrückt, melancholisch, angewidert. Die Hearings, Investigations etc. Das primitiv puritanische und zugleich von Haß erniedrigte Niveau. Leiden, Furcht, Grauen, Korruption und Selbstgerechtigkeit.« (1.3.1950)

Vielfach wird an diesem Abend der Bezug zur aktuellen politischen Situation in den USA hergestellt. Diese Parallele verschafft Thomas Mann eine Aktualität, die wir ihm – in dieser Angelegenheit – nicht gewünscht hätten, wie der Direktor des Literaturarchivs Ulrich Raulff in seiner Rede betont. Man kann sich Thomas Mann nur politisch annähern, wenn man sich mit seinem amerikanischen Exil beschäftigt, ist Frido Mann überzeugt. 

Auch die Ausstellung selbst wirft einen durchaus politischen Blick auf Thomas Manns Zeit in den USA. Drei Zeitleisten führen durch die Ausstellung: die subjektive Wahrnehmung Thomas Manns in seinen Tagebüchern, darunter die Werkhandschriften dieser durchaus produktiven Phase – »Joseph der Ernährer«, »Doktor Faustus«, »Der Erwählte«, um nur die prominentesten Beispiele zu nennen – und schließlich, als dritte Ebene, Materialien, Briefe und Sammelgegenstände, die Werk und Tagebuch im Zeitgeschehen spiegeln, kommentieren oder gar kontrastieren.

Außerdem sind zahlreiche Fotografien ausgestellt. Neben vielen bekannten Aufnahmen lassen sich durchaus Entdeckungen machen, das gilt nicht zuletzt auch für die Filmdokumente: Erika Mann am Schreibtisch ihres Vaters im Zürcher Bodmerhaus, wo sich ab 1956 und bis vor wenigen Jahren das Thomas-Mann-Archiv befand. Oder Thomas Mann lässig rauchend auf dem Liegestuhl im Garten seines Hauses. 

Am Eingang der Ausstellung befinden sich als Sinnbild für die Emigration die großen Reisekoffer der Familie Mann. Wie ein Mahnmal stehen sie da, eine Rarität aus der Schatztruhe des Thomas-Mann-Archivs, das als Kooperationspartner eine Vielzahl an ausdrucksstarten und hochwertigen Materialien zur Verfügung gestellt hat: den berühmten Brief an Walter von Molo vom September 1945 etwa, in dem Thomas Mann begründete, warum er nach dem Krieg nicht nach Deutschland zurückzukehren wollte. Ein bewegendes biographisches und zeitgeschichtliches Zeugnis.

Aber was heißt überhaupt Rückkehr? Thomas und Katia Mann ließen sich zwar Ende 1952 in der Schweiz nieder, aber es handelte sich keineswegs um eine freie Entscheidung, ist Frido Mann überzeugt. Es war die wachsende Entfremdung von seiner neuen Heimat – hervorgerufen durch eine zunehmend totalitäre und Freiheitsrechte beschneidende Politik –, es war die panische Angst vor einem neuen Faschismus, die Thomas Mann, der seit 1944 amerikanischer Staatsbürger war, im Alter von 77 Jahren zu einem »zweiten Exil« zwang.

2016 erwarb die deutsche Bundesregierung, unter Federführung des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, das ehemalige Haus der Manns in Pacific Palisades. Frido Mann sieht darin eine späte Wiedergutmachung. »Das Weiße Haus des Exils«, wie er es in seinem Buch nennt, wird zu einem Zentrum des interkulturellen Dialogs, zu einem Ort der politischen Debatten zwischen Deutschen und Amerikanern. Darin sieht Frido Mann das Vermächtnis seines Großvaters erfüllt: im Vertrauen auf das überzeugende Argument gegen demokratiefeindliche Gesinnung. 

Selbst nach den finstersten Zeiten Amerikas im 20. Jahrhundert gab es schließlich eine Veränderung zum Guten. Auch wenn Thomas Mann es nicht mehr erleben konnte, Frido Mann ist sich sicher, es hätte seinen Großvater gefreut, als 1961 der Demokrat John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt wurde.

 

Roland Spahr ist Lektor im S. Fischer Verlag, wo er unter anderem für das Werk Thomas Manns zuständig ist.