Der Roman beginnt mit einem Bild, einem Satz. Sprache und Landschaft waren schon immer das Rückgrat meines Schreibens. Ich wollte mit dem weiten, dramatischen, angsteinflößenden Setting des amerikanischen Westens spielen, mit einer Sprache, die dem Cowboyslang und Pidgin-Mandarin entliehen ist. Von dort nahm die Geschichte wie von selbst ihren Lauf.
Ständige Quellen der Inspiration sind für mich besonders Angela Carters Blaubarts Zimmer, Schiffsmeldungen von Annie Proulx, Divisadero von Michael Ondaatje und Toni Morrisons Menschenkind.
Wie viel von diesen Hügeln ist Gold ist in seinem Kern ein Buch über Trauer. Darüber, wie sich der Tod eines Elternteils durch ein Leben ziehen kann. Unbewältigt hat der Tod eine seltsame Schwerkraft. Egal wie lange vergangen, du kannst ihm nicht entgehen. Mein Vater starb, als ich 22 war. Wenngleich dieser Roman nicht im klassischen Sinne autobiographisch ist, so kommt sein emotionaler Kern deutlich aus meinem Leben – aber das trifft wohl auf die meisten guten Romane zu.
Ich wollte auch einen Roman über Einwanderung und Zugehörigkeit schreiben. Über die Einsamkeit, die man als Immigrantin spüren kann. Ich bin in Peking geboren, kam mit vier Jahren in die USA und lebte vor meinem 18. Geburtstag an zehn verschiedenen Orten. Ich weiß also, was es bedeutet, ständig unterwegs zu sein, nicht anzukommen.
Ich bin mit Büchern wie Weg in die Wildnis, Früchte des Zorns und Unsere kleine Farm aufgewachsen, während meine eigene Familie durch Amerika zog. Trotzdem habe ich in diesen Büchern nie jemanden wie mich wiederentdeckt. Mein Roman soll ein Heldenepos über und für den Rest von uns sein. Sie haben es genauso verdient, ihre eigenen Geschichten voller Schönheit und Ehrfurcht erzählt zu bekommen: Einwanderer, People of Color, die Einsamen, die Unterschätzten, die Enteigneten und Vertriebenen.
XX ist eine Flagge im Boden, ein Hinweisschild, das sagt: »Hier sind Drachen«, hier befindest du dich auf unerforschtem Terrain. Die Idee habe ich mir bei Haruki Murakamis 1Q84 geliehen. Das Q erlaubt eine Abweichung von unserem bekannten zu einem anderen Universum.
Ich wollte den Lesenden signalisieren, dass die Welt, die ich erzähle, nicht ganz dieselbe ist, die sie bislang kennen – oder zu kennen glaubten.
Sam und Lucy gibt es nur als Paar, niemals ohne einander. Die erste Szene, in der ich sie auftreten lasse, ensteht aus der eigentümlichen Spannung zwischen den beiden. Mich faszinieren Geschwisterbeziehungen oder enge Freundschaften zwischen Frauen – eigentlich jede Art der Beziehung zwischen Menschen, die permanent miteinander verglichen und in Kontrast zueinander gesetzt werden, die sich förmlich um- und übereinander ranken. Sam und Lucy sind im Duett solch geheimnisvolle, eindringliche Figuren.
Sam im Jahr 2021 würde sich vermutlich am ehesten mit „they/them“ identifizieren. Aber leider ist das nicht die Welt in meinem Roman, und mein Roman sollte seine Authentizität nicht verlieren. Gleichzeitig habe ich als Autorin versucht, Sam die Freiheit zu geben, sich ohne jegliche Genderlabel zu präsentieren. Und daher begegnet der Lesende für den ersten Teil des Buches Sam, sich in einer Weise kleidend und verhaltend, die in der Romanwelt männlich kodiert ist. Ich wollte, dass die Lesenden zweimal hinschauen, dass sie sich selbst fragen, wie Gendernormen in ihrer und der Welt meines Romans funktionieren.
Es ist wie mit Sams Pronomen. Dem Begriff, den ich verwende, um ›Native Americans‹, die indigene Bevölkerung Amerikas, zu beschreiben, stimme ich heute, 2021, in keinster Weise zu – doch für die Glaubwürdigkeit meiner Welt brauchte es ihn.
Ein Schlüsselelement im Roman ist auch Lucys Sehnsucht in die ‚weiße‘ Kultur aufgenommen zu werden. Sie schadet damit sich selbst und anderen. Ihre Sicht auf die indigenen Einwohner Amerikas ist problematisch, genauso wie die auf ihre eigene Herkunft, für die sie nur Selbsthass empfindet. Es war für mich schmerzhaft zu schreiben, aber notwendig. Moralisch unanfechtbare Figuren sind weder interessant noch realistisch. Mir war es wichtig zu zeigen, welchen wirklichen Schaden feindlich gesinnte Ansichten anrichten können. Und ich wollte den Lesenden die Möglichkeit geben, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ich habe Mandarin tatsächlich nicht als eine andere Sprache verstanden. Vielleicht weil ich den Roman zuerst nur für mich geschrieben habe. Im ersten Entwurf habe ich aus dem bloßen Gefühl heraus meine Figuren eine Mischung aus Englisch und Pidgin-Mandarin sprechen lassen – es spiegelt das wieder, was ich als Kind hörte. Ich bin damit aufgewachsen. Dieser Sprachmix ist für mich und viele andere einfach der Klang des realen Lebens. Womöglich gibt es Momente des Verstehens in diesem Buch, die nur für uns bestimmt sind, und das ist in Ordnung. Und sind wir nicht alle auf Zusammenhänge und Hinweise angewiesen, um das Glück des Verstehens zu erleben, sei es in einer anderen Sprache oder in einem Roman in unserer eigenen?
Dies ist auch ein Roman über den Klimawandel und die Zerstörung, die Menschen in diese natürliche Welt bringen. Dieser Aspekt wird gerne übersehen, weil ich mich für ein historisches Setting entschieden habe – aber wir fügen diesem Planeten schon seit langer, langer Zeit Schaden zu. Wenn ich über Verlust schreibe, meine ich damit nicht nur die Trauer um einen toten Menschen, es ist auch die Trauer über die Welt, wie sie einmal war und die wir verloren haben.
Es fragte und übersetzte Teresa Pütz, Lektorin S. Fischer