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Interview mit Andre Wilkens

Andre Wilkens Autorenfoto
© Gerlind Klemens

Ulrike Holler: Sie sagen von sich selbst, ein Fan von Europa zu sein. Woher kommt die Begeisterung?

Andre Wilkens: Ich bin ein Kind Europas, habe meine eigene europäische Geschichte, wie viele von uns. Ich habe Europa viel zu verdanken, ganz persönlich. Freiheit und eine Utopie nach dem Mauerfall, grenzenloses Reisen, ein Studium in London, eine internationale Karriere, ein gutes Leben in fünf europäischen Ländern, eine Frau aus England. Ich hab Europa erlebt, bin rumgekommen, es gab Probleme und Krisen, Umwege und Kratzer: Such is life! Es läuft nie alles glatt, aber unterm Strich war es eigentlich wunderbar. Ich fühl mich gut, ich steh auf Europa.

Ebenso ist es mit der europäischen Nachkriegsgeschichte, eigentlich ist das auch eine wunderbare Geschichte, die aber keineswegs geradlinig oder problemlos verlief. Über Jahrhunderte wurde Europa von Krieg und Gewalt beherrscht, dann folgte die Teilung und der Kalte Krieg, doch jetzt ist Europa ein friedlicher, reicher und glücklicher Kontinent. Auf diese Geschichte können wir doch stolz sein, es ist eine super Story.

Ulrike Holler: Warum schreiben Sie in einer Zeit, in der Europa doch von einer Krise in die nächste zu wanken scheint, von "guten Nachrichten aus Europa"?

Andre Wilkens: Ja, Europa hat die Krise. Manches davon ist selbstgemacht, vieles davon ist aber auch eine Reaktion auf externe Faktoren. Die Jahre, in denen alles nur glatt und aufwärts ging, die es ja auch so nie wirklich gab, die sind vorbei. Es ist rauher geworden in der Welt. Europa hat damit seine Schwierigkeiten. Aber Europa berappelt sich, davon bin ich überzeugt. So wie Deutschland in fünfzehn Jahren vom kranken Mann Europas zum europäischen Superstar geworden ist, kann auch Europa wieder ein Weltstar werden. Und für die allermeisten Menschen außerhalb Europas ist das auch heute schon der Fall, trotz unserer Krisen. Das vergessen wir so oft bei unserer eigenen Nabelschau.
Ich wollte eine optimistische Geschichte über Europa schreiben. Und zwar gerade jetzt, da Europa an seine Grenzen zu kommen scheint oder gar zu zerfallen droht. Gerade jetzt scheint mir eine optimistische Geschichte notwendig, wichtig, relevant. Denn dieses, zugegeben unperfekte Europa ist das Beste, was wir in den letzten Jahrhunderten geschaffen haben.

Ulrike Holler: Was braucht Europa, um aus der Krise zu kommen?

Andre Wilkens: Europa braucht Selbstvertrauen. Vertrauen in die europäische Idee und Vertrauen zwischen den europäischen Partnern. Und eine gesunde Prise Optimismus. Und an beidem fehlt es. Europa hat eine Midlife-Crisis und muss zu Freud auf die Couch. In meinem Buch habe ich das übrigens mal durchgespielt. Wenn man die Krise hat, hilft es ja nicht, sich immer noch mehr fertig zu machen, sondern man muss wieder Mut schöpfen, an seine Fähigkeiten glauben, sich seine Erfolge in Erinnerung rufen und diese feiern.
Wenn Europa wieder Vertrauen ins sich selbst findet, und Vertrauen zwischen den europäischen Partnern, dann werden Krisen zu Herausforderungen, die man mit Energie und Kreativität löst. Ohne Vertrauen scheinen Krisen unlösbar und man verzweifelt. Wieder Selbstvertrauen aufbauen, das ist mein 1-Punkt-Plan für Europa.

Ulrike Holler: Können Sie Ihren eigenen europäischen Lebensweg kurz skizzieren?

Andre Wilkens: Kurz nach dem Mauerfall bin ich in einem alten Lada (das Auto) nach Brüssel gefahren, um für die EU zu arbeiten. Von da an war ich zwanzig Jahre in Europa unterwegs, habe in Brüssel gearbeitet, in London studiert, in Italien gelebt und in Genf bei der UN Flüchtlingsarbeit gemacht. Vor sieben Jahren bin ich mit meiner englisch-deutschen Familie nach Berlin zurückgekehrt. Und das ist es doch eigentlich: Dass Europa nicht nur die Geschichte von Leuten wie Helmut Schmidt und Charles de Gaulle ist, sondern gerade auch von Leuten wie Dir und mir.

Ulrike Holler: Ihr Buch endet mit einer Playlist der Songs, die Sie beim Schreiben des Buches gehört haben. Welches waren die wichtigsten bzw. gibt es einen Lieblingssong?

Andre Wilkens: Jeder Song stammt aus einer bestimmten Lebensphase und passt zu einem bestimmten Thema im Buch. In diesem Sinne sind also alle Songs gleich wichtig. Musikalisch ist mein Lieblingssong wahrscheinlich „Should I Stay or Should I Go“ von The Clash aus dem Kapitel über Großbritannien. Am besten zur Nachricht des Buches passend finde ich Paolo Contes Song „It’s wonderful".

Andre Wilkens wurde 1963 geboren und ist in Ostberlin aufgewachsen. Der studierte Politikwissenschaftler hat viele Jahre in Brüssel, London, Turin und Genf gelebt und dort für die EU, Stiftungen und die UNO gearbeitet. Bis 2015 leitete er das ProjektZentrum Berlin der Stiftung Mercator. Davor hat er das Open Society Institute ...
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