1. Wird das Deutsche vom Amerikanischen oder Englischen ausgehöhlt, überschwemmt, entwertet?
Das ist der Standardvorwurf, der die Anglizismen als Hauptgrund eines angeblichen Niedergangs der deutschen Sprache bezeichnet. Tatsächlich hat die Wissenschaft seit den 1970er Jahren die Entwicklung beobachtet und auch Ergebnisse geliefert. Die Übernahme von englischem Wortgut bewegt sich durchaus im Rahmen dessen, was wir schon immer als Folge von Kontakt erlebt haben. Früher dominierte das Lateinische, Italienische, Französische, heute das Englische. In allen diesen Fällen handelt es sich in allererster Linie um Wortgut, das sich das Deutsche einverleibt, übrigens dabei verändert, weiterentwickelt oder sogar nach Vorbildern frei erfindet wie das berühmte Handy. Viel seltener werden kleine Wendungen wie etwas kommunizieren übernommen. Die Stabilität der Grammatik insgesamt ist damit in keiner Weise betroffen. Peter Eisenberg, Verfasser einer zweibändigen Deutschen Grammatik, urteilt eindeutig: Nie war die deutsche Grammatik besser ausgebaut als heute.
2. Woher kommt eigentlich die große Bedeutung, die in Deutschland oder überhaupt allen Ländern der eigenen Sprache zugeschrieben wird?
Man kann dafür zwei Entwicklungen verantwortlich machen, die beide im 19. Jahrhundert wurzeln. Einmal hat sich die Sprachanschauung gewandelt: Aus dem bloßen Transportmittel für Gedanken wurde die Hervorbringung und jeweils eigene (muttersprachliche) Prägung dieser Gedanken. Zum anderen wurde die Muttersprache als Garant von Identität gesehen: Gerade in Deutschland gab es bis 1871 keine politische, sondern nur eine kulturelle und eben nicht zuletzt sprachliche Einheit. Im 19. Jahrhundert waren diese Vorstellungen durchaus kreativ und brachten in der Romantik hohe dichterische Leistungen hervor. Allerdings führten sie auch zu einer Verabsolutierung mit negativen, ja zerstörerischen Effekten: zu einer mythischen Glorifizierung der Sprache mit der Folge eines politischen Chauvinismus', der in Abgrenzung und Fremdenhass mündete.
3. Wenn jetzt schon Kleinkinder im Kindergarten Englisch lernen, hat die deutsche Sprache dann global gesehen noch Bedeutung?
Im 19. Jahrhundert ist das ja anders gewesen, da war Deutsch eine Sprache mit Weltgeltung.
Es stimmt, dass die deutsche Sprache einmal Weltsprache war, und zwar in der Wissenschaft, speziell der Naturwissenschaft. Max Planck konnte 1909 eine Vorlesungsreihe über Physik an der New Yorker Columbia Universität auf Deutsch halten, der russische Chemiker Dimitri Mendelejew publizierte sein Buch über das Periodensystem der Elemente 1869 auf Deutsch. Damit trat Deutsch neben die beiden anderen Weltsprachen, die schon lange auf anderen Gebieten dominierten: das Französische in der Diplomatie, das Englische in der Wirtschaft. Diese Zeit ist für das Deutsche aufgrund von zwei Weltkriegen vorbei. Aber auch die früher verbreitete Bereitschaft, vielsprachig zu werden (Goethe beherrschte sieben Sprachen), hat abgenommen. In der globalisierten Welt erscheint es am einfachsten, sich auf eine einzige Brückensprache zu verständigen, so dass international Agierende (nur noch) zweisprachig werden (müssen). Diese Brückensprache ist Englisch, das weltweit mit Abstand am meisten gelernt, mittlerweile von mindestens zwei Milliarden Menschen (wenigstens notdürftig) beherrscht wird. Ob man deshalb schon im Kindergarten Englisch lernen soll, ist allerdings umstritten (»Schnullerenglisch«).
4. Man liest immer häufiger, dass wissenschaftliche Arbeiten nur noch zählen, wenn sie auf Englisch verfasst worden sind. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Mit dieser Frage sind die Universitäten betroffen. In Wissenschaften, in denen der internationale Austausch nicht schnell genug erfolgen kann (also in den Naturwissenschaften und der Medizin vor allem), hat sich das Englische als Wissenschaftssprache tatsächlich weitgehend durchgesetzt. Es ist klar, dass alle anderen Muttersprachler damit zusätzliche Leistungen erbringen müssen, wenn sie konkurrieren wollen. Und nicht nur das Schreiben selbst ist betroffen, sondern auch die Verwertung wissenschaftlicher Leistungen, die mehr und mehr an englischsprachige Datenbanken gebunden sind bzw. nur so weltweite Aufmerksamkeit finden. Mittlerweile sind Missstände erkannt, werden auch andere als auf Englisch geschriebene Publikationen in Bibliografien ausgewertet (im Internet vor allem). Es ist aber keine Frage, dass sich die Entwicklung zu Englisch als dominierender Wissenschaftssprache in den genannten Wissenschaften, aber auch sonst verstärken wird. Darin liegt allerdings eine Parallele zu früheren Verhältnissen, als in der Wissenschaft Latein verwendet wurde. Dies gilt entgegen verbreiteter Meinung nicht nur fürs Mittelalter. Noch eines der berühmtesten Bücher der Wissenschaftsgeschichte überhaupt, die Principia Mathematica von Newton, sind 1687 auf Latein erschienen und konnten damit von der Gelehrtenwelt sofort rezipiert werden.
5. In der EU ringt ja jedes Land stark darum, dass seine eigene Sprache gleichberechtigte Verwendung findet. Lähmt diese Entwicklung nicht auch die ganze Behörde, die sich mit Übersetzungsfragen herumschlagen muss, anstatt sich auf eine Arbeitssprache zu einigen?
Es gibt in der EU zwei Grundsätze: Alle 24 Sprachen der 28 Mitglieder sind Amtssprachen. Jeder Bürger kann sich in einer dieser Sprachen an die EU wenden und erhält in seiner Sprache Antwort. Jedes Dokument muss in jeder Amtssprache veröffentlicht werden. Auch im Straßburger Parlament kann jeder Abgeordnete seine Sprache verwenden und erhält jede andere Sprache gedolmetscht. In diesem mündlichen Bereich aber gibt es auch Reduzierungen. Bei Verhandlungen sind drei Amtssprachen als Arbeitssprachen herausgehoben: Englisch, Französisch und mittlerweile auch Deutsch. Allerdings wird dies in der Praxis kaum umgesetzt, es gibt darüber schon rituelle Klagen der Bundesregierung. Nur muss man wissen: Es geht auch um praktische Handhabung und nicht zuletzt Kosten. 2004 waren in der EU 2600 Übersetzer (externe nicht gerechnet) und 2100 Übersetzer beschäftigt, die EU selbst hat die Kosten auf 1,05 Prozent des Gesamthaushalts berechnet (2,28 Euro für jeden Bürger pro Jahr). Vor allem die Beamten sprechen sich angesichts der großen Probleme für Vereinfachungen aus, die deutschen präferieren Englisch als einzige Arbeitssprache, um nicht auch noch Französisch lernen zu müssen (Italiener oder Finnen müssen sogar dreisprachig werden). Im Straßburger Parlament, bei den für einen kurzen Zeitraum gewählten Abgeordneten, sieht es anders aus, plädiert man für ein volles Sprachenregiment (und stützt sich dann doch auf Relaissprachen, die die möglichen 562 Sprachkombinationen reduzieren). Neben Aufwand und Kosten gibt es auch noch weitere Probleme: Übersetzungen bzw. Verdolmetschungen sind nicht perfekt, es gibt Pannen und sogar grundsätzliche Probleme (wenn juristische Termini in einem anderen Land nicht mehr „stimmen“). Viele Gründe sprechen also für mehr Vereinheitlichung. Nur gilt dies immer für die Politiker. Den Bürgern ist nicht nur die Verwendung, sondern auch die Pflege ihrer je eigenen Sprache in allen bisherigen Verlautbarungen und auch im Entwurf der zukünftigen Verfassung (mittlerweile im Range eines Menschenrechts) garantiert.