Art Spiegelman: Zuerst einmal: warum ein Street Cop?
Robert Coover: Ich habe Street Cop 2019 geschrieben. Wie alles, was ich schreibe, entstand der Text aus meinen Ängsten um die Gegenwart. Ich hatte schon vorher über Privatermittler geschrieben, aber der einfältige Street Cop war neu. Ich mochte die Vorstellung von einem Typen, der die Technik nicht versteht. Es geht um einen Trottel, der früher Gauner und Dealer war, bis er aus Versehen Polizist geworden ist, und der jetzt durch eine Technik-Stadt stolpert, in der sich die Straßen wegen der 3-D-Drucker täglich verändern: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen. Sein Job besteht eher darin, Verdächtige zu verurteilen als Kriminalfälle zu lösen, aber eigentlich will er nur in den alten Teil der Stadt zurück, in die schäbige, noirmäßige Gegend, in der er für seine Bedürfnisse und Unzulänglichkeiten nicht verurteilt wird.
AS: 2020, als ich die Geschichte das erste Mal las und zusagte, sie zu illustrieren, war ich dankbar, dass ich aus dem ländlichen Bunker in den Wäldern, in den wir uns aus New York in die Quarantäne zurückgezogen hatten, in eine Dystopie entfliehen konnte, die sozusagen gleich um die Ecke spielte. Bei all den schrecklichen Nachrichten und dem zwanghaften »doom-scrollen« – ich liebe diesen Ausdruck – hatte ich das Gefühl, dass ich in der covid-freien Luft von Street Cop atmen konnte, weil sie wenigstens nicht die beiden schlimmsten Viren, Covid und Trump, enthielt. Aber dann waren gleich auf dem ersten Bild, das ich zeichnete, Covid-Viren zu sehen. Es war unvermeidbar, dass sie einen Weg in die Gegenwart der Geschichte fanden.
RC: Sie ist jetzt infiziert.
AS: Aber das Schöne an Street Cop ist, dass es nicht um einen bestimmten Zustand der Gegenwart geht – die ganze Geschichte ist durchdrungen vom Jetzt: die Entmenschlichung, die Versuche der Leute, miteinander in Verbindung zu treten in einer Welt, in der das praktisch unmöglich scheint, die Technologien, die sich auf alles auswirken und unkontrollierbar werden, der Schurke und der Polizist, die ein und derselbe sind. Wer hätte gedacht, dass unser dummer Street Cop, oder zumindest seine Truppen von Robot-Cops, nur wenige Wochen nach meiner Arbeit an dem Text, auf den Titelseiten von Zeitungen in der ganzen Welt zu sehen sein würden?
RC: Ja, und die Komplexität, die du beschreibst, entstand vor allem, weil ich die Geschichte nicht als direkte Antwort auf irgendetwas geschrieben habe. Der Street Cop ist aus einer uralten Tradition entstanden, nicht aus den Schlagzeilen. Ich wollte seine Bedeutungslosigkeit einfangen und die Technik-Stadt als einen Spiegel seiner Unzulänglichkeit nutzen. Ich denke, durch diesen Gegensatz wird etwas von seiner Menschlichkeit sichtbar. Ich arbeite oft mit mehr oder weniger unschuldigen Figuren in einer feindseligen Umgebung, aber in diesem Fall sind Unschuld und Feindseligkeit miteinander vermischt.
AS: Das kann man sagen! Street Cop ist syntaktisch und stilistisch gleichermaßen komplex. Es hat ein paar wirklich schöne Hammet- und Chandler-Töne, aber es klingt ganz anders, wenn du die Geschäfte in der Zoohandlung beschreibst, der Ladenbesitzer, der einen Typ dazu bringen will, dass er einen Zombie kauft. Das ist ein anderes Muster, ein GothicSound, eine andere Art des Erzählens. Herauszufinden, was diese Mischung zusammenhält, was sehr besonders, es ist seltsam aufwühlend, wie diese Genres neu zusammengefügt werden. Das bringt mich auf einen Gedanken: Über unsere Arbeit könnte man sagen, dass zwei »Postmodernisten« zusammenkommen. Ich bin nicht sicher, was genau Postmoderne ist, aber wir beide zitieren aus einem Speicher der Popkultur und arbeiten mit Querverweisen aufeinander.
RC: Sicher, aber ich habe mich immer dagegen gewehrt, gelabelt zu werden, vor allem als »postmodern«. Das hat sich immer viel abstrakter angefühlt als das, was wir tun. Ich habe mal eine Konferenz gehalten, auf der ich die Presseleute gefragt habe, ob sie Postmoderne definieren könnten. Es endete mit Gelächter. Ich habe immer sehr aktiv versucht, mich vom traditionellen Realismus zu distanzieren, und ich denke, ich habe Wege gefunden, das zu tun. Deshalb bezeichnet die Kritik mich als postmodern. Ich verstehe das, was du beschreibst, als meine eigene Form des Realismus.
AS: Es ist ein bisschen wie mit der Malerei, als man nach der Erfindung der Kamera weitermalen und einen neuen Realismus finden musste, der die Landschaften zerteilte und zwischen Tiefe und Flächigkeit schwanken ließ – was man Kubismus nannte. Er war eine ganz natürliche Antwort auf den speziellen Realismus der Fotografie, aber er war dennoch ebenso ein Versuch, die Wirklichkeit abzubilden, genauso, wie dein Schreiben näher an der Wirklichkeit ist als jeder Nachrichtenbeitrag. Unser Zeitgeist hat uns vor allem mediale Splitter als Wirklichkeit gelassen. Im Schreiben oder Zeichnen versucht man, den atmosphärischen Druck um uns herum zu messen.
RC: Das stimmt. Wenn Leute mich fragen, sage ich, dass ich meinen Realismus von Kafka gelernt habe. Street Cop ist ein gutes Beispiel für eine realistische Geschichte.
AS: Ich habe Kafka entdeckt, als ich zwölf war, in einer Abteilung der Bibliothek, in der ich nicht hätte sein dürfen. Die Verwandlung kam mir vor wie eine extrem gute Folge von The Twilight Zone (was jede Woche als »Dimension, so weit wie der Raum und so zeitlos wie die Unendlichkeit« beschrieben wurde), aber natürlich ging es bei Kafka um die Gegenwart, in der der Text geschrieben wurde. In Street Cop geht es so sehr darum, die Zeit aufzubrechen – und den Raum. Sie sind ein gutes Duo: Zeit und Raum. Und ich muss sagen: dass Raum und Zeit ihre Koordinaten verlieren, war eine wirklich gute Inspiration für die Illustrationen. Die Bilder sind so eingefügt, dass sie sich rückwärts auf die Seite beziehen, die man gerade gelesen hat oder so, dass sie visuelle oder verbale Informationen zeigen, die erst auf der nächsten Seite verständlich werden. Sie versuchen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft so zusammenzuwerfen, wie es auch auf der Erzählebene geschieht. Ich denke, darin spiegelt die Geschichte die Merkwürdigkeit unserer gegenwärtigen Realität mit ihrem Schleier der Nostalgie.
RC: Ja, es geschehen merkwürdige Dinge in meinen Texten. Aber auch in der echten Welt geschehen merkwürdige Dinge.
AS: Pete Hamill erzählt in seinem Buch Downtown von New York und dem unterschiedlichen Empfinden von Uptown und Downtown, dass manche Institutionen und Gebäude in Uptown eigentlich nach Downtown gehören – und umgekehrt. Da klingt die Technik-Stadt aus Street Cop an. Er erzählt von der Nostalgie – von Automatenrestaurants, der alten Penn Station – und sagt, dass es nicht reicht, liebevoll zurückzublicken. Man hat auch die Pflicht, nicht zu vergessen. Und man muss akzeptieren, dass die Veränderung ein zentraler Bestandteil der Stadt ist. Läden, die es vor sechs Monaten noch gab, sind jetzt einfach verschwunden, das war schon so, bevor Covid diese Veränderungen beschleunigt hat …
RC: Ein Laden schließt nach dem anderen …
AS: Ja, man muss die Vergangenheit wertschätzen, aber auch das akzeptieren, was sie ersetzt. Man muss die Veränderung annehmen, weil man einfach an einem bestimmten Punkt in die Erzählung gekommen ist, als es gerade vielleicht Automatenrestaurants oder Pulp-Magazine gab. Man muss in der Lage sein, das für sich zu bewahren, aber auch zu bedenken, dass jemand anderes Nostalgie empfinden wird für Dinge, die vielleicht 15 Jahre später kamen – auch das gehört zu der Vermischung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bei Street Cop. Natürlich geht es in der Geschichte um die Gegenwart, das ist klar. Aber was mich interessiert, ist, dass es wirklich auch um den Rückblick geht in Street Cop. Nicht nur darum, als ahnungsloser Polizist verloren zu sein. Es geht auch um eine ganz besondere Nostalgie: eine Nostalgie für die Gosse. Und das hat mich zu der Bildwelt der »alten Viertel« gebracht – ich dachte: »Okay, das muss bevölkert sein von der frühen Comic-Kunst des letzten Jahrhunderts.« Meine Vorstellung vom Futurismus beruht also auf Sachen aus den 60ern und davor. Du weißt schon, Buck Rogers …
RC: So ging es mir auch. Diese zerrissene Vergangenheit war mir sehr bewusst, dass wir mit ihrer Schattenexistenz hinter uns leben. Ich liebe übrigens deinen Ausdruck »Nostalgie für die Gosse«. Street Cop hat viel zu tun mit dieser Nostalgie.
AS: Der Begriff Nostalgie war nie dazu gedacht, alte Fernsehsendungen zu vermarkten. Es geht um ein viel schmerzlicheres Gefühl. Im Russischen schwingen Krankheit und Schmerz in dem Ausdruck mit. Der Schmerz der Vergangenheitsbeschwörung. Diese schmerzliche Erinnerung macht unseren Street Cop so menschlich. Besonders im Licht der futuristischen Welt, die so ganz ohne Charakter, ohne Textur ist – alles, was bleibt, ist das seelenlose Lächeln von Elektra (deiner Weitererzählung von Siri oder Alexa) auf dem Smartphone.
RC: Ja – und es gibt zwei Elektras in der Geschichte: Die zusammengesetzte Leiche einer einst lebendigen Person und die kalte künstliche Intelligenz auf dem Handy. Die einst lebendige Zombie-Elektra ist während des Schreibens ganz natürlich entstanden. Sie hat sich als Charakter entwickelt und wurde zu einer Art Heldin.
AS: Allerdings! Sie ist herzzerreißend.
RC: Man kann zusehen, wie ihr Herz zerreißt in ihrem Körper.
AS: Todd Gitlin schrieb in den Achtzigern in der New York Times über die Postmoderne und nannte Maus als ein Beispiel für eine »starre, neu zusammengesetzte Fiktion«, die aber »die wahre Neuigkeit eines Gefühls unter der Oberfläche, eines Sinns und einer Sinnlichkeit« biete. Vielleicht fand ich es deshalb so befriedigend, dass Elektras Geschichte mit den Worten »Ich liebe dich« endet, auch wenn sie verzerrt klingen in dem Haufen Fleisch. Da ist etwas sehr Menschliches, das heraus will – es ist ein Mix der Genres, aber nicht um seiner selbst willen.
RC: Etwas sehr Menschliches. Das Ringen um Liebe, um ein gutes Ende, das Ringen mit dem Schicksal. Alle diese Figuren – die Elektras und unser Trottel – sind gefangen in Narrativen, die sie geerbt und nicht gewählt haben, aus denen sie verzweifelt zu entkommen versuchen, auch wenn sie dadurch meistens nur in neue Narrative geworfen werden.
AS: Genau wie es uns in unseren Leben ergeht.
RC: Ja, wir sind gefangen in den Geschichten der Toten. Die meisten Leute akzeptieren diese Geschichten einfach, an die sie gebunden sind, das ist der einfachste Weg. Aber andere finden Wege des Widerstands, und einige meiner Figuren sollen als Vorbilder für uns dienen können, für den Widerstand gegen das Gefangensein.
AS: Wenn wir unsere gemeinsame Arbeit so interpretieren, frage ich mich aber wirklich: Wie um alles auf der Welt bist du darauf gekommen, mich um die Illustration zu bitten? Street Cop ist eines der ersten Bücher überhaupt, das ich illustriert habe. Als ich dein Manuskript bekommen und es gelesen habe, habe ich die ganze Zeit gehofft, dass es nicht um Juden oder Mäuse geht, damit ich die Arbeit annehmen konnte! Das ist es, was die meisten Leute von meiner Arbeit kennen und erwarten; aber Teil der Herausforderung für mich war: Wie illustriere ich so etwas?
RC: Ich muss gestehen, dass ich nicht erwartet hatte, dass es so gut würde, wie es dann wurde. Ich dachte, es wäre eine unmögliche Aufgabe. Aber ich glaube, deine Illustrationen beantworten die Frage am besten. Ich liebe Maus, aber das ist nun etwas ganz anderes. Wenn du vorher Dinge gemacht hättest, die ähnlicher wie mein Buch gewesen wären, hätte es vielleicht nicht so gut funktioniert. Deine Zeichnungen zeigen Dinge, von denen ich nicht wusste, dass sie da waren. Es war eine Offenbarung.
AS: Wolltest du nie Comics machen, früher in deiner Karriere?
RC: Das habe ich. Ich habe Strips gezeichnet für meine Familie, als ich acht oder neun war, die Familiengeschichte aufgeschrieben und illustriert und so. Aber das war ein Verlangen, das ziemlich früh verging. Es war nichts, für das ich wirklich brannte. Schreiben war die Hauptsache.
AS: Zeichnest du noch?
RC: Das tue ich, ich zeichne immer noch Gesichter. Und ich kritzle auf die Ränder von allem, woran ich gerade arbeite. Es ist nicht gerade gut, obwohl ein Kunstlehrer mich einmal fragte, warum ich mich nicht aufs Zeichnen verlegte statt auf die Kunstimitation. Zu der Zeit versuchte ich gerade, mit Wasserfarben zu arbeiten.
AS: Ich wollte Cartoonist werden, weil ich nicht zeichnen konnte und weil ich es mochte, wie all die anderen Leute zeichneten, die auch nicht zeichnen konnten. So habe ich meine große Liebe dafür entdeckt. Ich habe alles kopiert und einfach versucht herauszufinden: »Wie malt dieser Typ ein Ohr? Er malt einfach eine verkehrte sechs in ein C. Und ein anderer malt ein umgekehrtes e. Und noch ein anderer eine ganz andere Version.« Es gab wirklich eine Art schriftliche Sprache der Bilder, die ich lernen und zusammensetzen musste.
RC: So sehe ich Tropen, sogar ganze Genres, die immer wieder überarbeitet werden und sich verändern, so dass sich ihre Bedeutung immer weiter krümmt. Sie sind unsterblich und universell – und wie du sagst: Sie können unterschiedlich gezeichnet oder kombiniert werden. Das ist das Chaos der menschlichen Natur.
AS: Wir arbeiten mit diesen seltsamen linguistischen Bausteinen, die wir neu zusammensetzen, um überhaupt irgendetwas zu sagen, sei es in Worten oder Bildern. Und gerade, ganz politisch gesprochen, wird vieles in diesen Kämpfen humorlos und grenzt an Zensur, so dass es nicht mehr möglich ist, Gedanken zu formen und auszudrücken und neu zu formen, zu besseren Gedanken. Wir brauchen Humor, weil er der Code ist, mit dem wir das übliche Denken durchbrechen können. Es gehört zu seiner Natur, dass der Humor immer den Seiteneingang sucht.
RC: Auch da stimme ich zu, ein Teil des gegenwärtigen Problems ist der fehlende Humor. Aber manche haben ihn noch und vielleicht wird einer von ihnen bei Gelegenheit aufstehen.
AS: Das hast du in die Die öffentliche Verbrennung getan; es war das erste Mal, dass eine Romanfigur den Namen einer öffentlichen Person trug: Richard Nixon.
RC: Ich habe oft mit Humor und Spott auf unsere patriotischen und kulturellen Mythen gezielt. Das gehört zum Geschichtenerzählen – sie neu zu kombinieren und ihre Unwahrheiten bloßzulegen, wenn es um Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit geht, aber auch in Bezug auf Rassismus, Sexismus und Angst. Und dem gegenüber muss man offen sein, sonst entwickelt man sich zwar weiter, aber nur durch Repression, was nie gut ist.
AS: Jemand hat mir einmal geschrieben: »Wenn es einen Gott gibt, dann sitzt er vermutlich dort oben und binge-watcht die Erde. Was für eine Geschichte!« Das Einzige, was einen innehalten lässt, ist, dass das alles wirklichen Menschen geschieht und dass es unser Planet ist. Unsere Vorstellung von Demokratie ist nur ein missglücktes Experiment. Es ist erstaunlich, dass zumindest ihre Illusion sich so lange gehalten hat.
RC: Ja. Die, die sich für Demokratie – oder die Erde – einsetzen, scheinen entweder der Zerstörung geweiht zu sein, oder sie schaffen es irgendwie, beides als Täuschung wiederherzustellen.
AS: Die Pandemie war wie der Puder, mit dem man Fingerabdrücke nimmt – sie hat all die Verbrechen sichtbar gemacht, den Rassismus und den Fremdenhass, die Grausamkeit, mit der unsere wirtschaftlichen und ökologischen Ressourcen verteilt und genutzt werden. Man kann wirklich nicht mehr leugnen, wie unglaublich rassistisch die USA immer waren und es immer sein werden – und dass das unsere Geschichte ist, alles andere waren nur Märchen.
RC: Die Schlechtigkeit der Welt ist nichts Neues, und wir werden immer warten und zusehen und hoffen, dass alles zu einem guten und glücklichen Ende kommt. Aber das wird nicht geschehen. Und ich glaube, das begreifen gerade immer mehr Menschen.
AS: Aber es ist schwer, damit umzugehen, weil das, was wir durchleben, so groß ist. Und dein Buch ist so klein.