Mit großer Trauer haben wir erfahren, dass Alice Munro am 13. Mai, in Port Hope, Ontario verstorben ist. Sie wurde 92 Jahre alt.
In ihren Erzählungen wurden die Fensterblicke zu ganzen Romanen, voller Gefühle und Empathie. Durch die Kunst der großen Autorin entstand in ihnen eine Hellsicht und eine Klarheit, eine Ahnung für die kostbare Zerbrechlichkeit der Welt, die sich auf das Leben von Millionen Leser*innen übertrug. Obwohl ihre Geschichten immer um Kanada kreisten, reisten sie in alle Welt. War eine Besprechung ihres ersten Erzählbandes noch mit »Hausfrau schreibt Buch« übertitelt, trotzte sie dieser Impertinenz und war schon in den Jahren vor dem Nobelpreis zu einer Welterzählerin geworden, deren Bücher und Ton Schriftstellerinnen zum Vorbild wurde.
»Bei Alice Munro gelangt man lesend wie Hand in Hand mit ihr zu der Erkenntnis eines Augenblicks; das ist eine merkwürdige und eher seltene Form von Gemeinsamkeit mit einem Autor. Ich lese - das bedeutet, ich lebe mich in das Leben eines anderen Menschen ein.« Judith Hermann
2013 feierten wir mit ihr den Nobelpreis, der ihr Lebenswerk krönte. Aber sie konnte ihn nicht selbst entgegennehmen, denn sie litt bereits unter Demenz. Merkwürdig wie manche Erzählungen im Nachhinein zu Prophetien werden: Mit »Der Bär klettert über den Berg« hatte sie dieser Erkrankung ihre vielleicht eindringlichste Geschichte gewidmet.