In meinem Zuhause gibt es eine Keramikschale, sie steht auf der Kommode im Flur. Die Schale hast du mir vor einigen Jahren geschenkt. Seit einiger Zeit wirst du weniger, indem du – Stück um Stück – alles, was du besitzt, verschenkst. Seit einigen Wochen begleitest du das Sterben deiner Lebensgefährtin, die seit dreißig Jahren an deiner Seite war. Jeden Tag läufst du von deiner Wohnung zur U-Bahn-Station am Marienplatz, fährst zum Odeonsplatz und steigst dort um in die U-Bahn Richtung Arabellapark. An der Haltestelle Richard-Strauss-Straße steigst du aus und musst rund zwanzig Minuten auf den Bus warten, der dich schließlich zum Hospiz bringt. Du sagst, die U-Bahn sei leer, und die Menschen in dem Hospiz seien alle sehr freundlich. Morgens stellen sie Blumen hin, und am Nachmittag gibt es für die Angehörigen Kuchen und Kaffee. Ich fürchte, das ist das einzige, was du am Tag zu dir nimmst, aber wenn du die Hand deiner Lebensgefährtin drückst, meinst du, ein Lächeln zu sehen.
Du hast mir versprochen, auf deinen Wegen durch die Stadt eine Atemmaske zu tragen, um dich vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen. Ich weiß, dass du es nicht tust. Du rauchst seit sechzig Jahren zwei Päckchen Zigaretten am Tag, und beim Rauchen ist eine Atemmaske sehr hinderlich. Abends telefonieren wir, und dabei schweigen wir manchmal gemeinsam. Gestern habe ich dir erzählt, dass es hier aus buchstäblich heiterem Himmel geschneit hat, so viel, dass wir einen Schneemann gebaut haben. Du hast weder einen Computer noch ein Smartphone, und ich hätte dir so gerne ein Bild geschickt. Was glaubst du, wie viele Schneemänner ich schon gesehen habe, hast du gesagt. Darüber mussten wir lachen.