Der Fallmeister
»Fallmeister« ist ein Jahrhunderte alter Ehrentitel für die Schleusenwärter am Weißen Fluss. Doch seit die Salzbergwerke im Toten Gebirge stillgelegt wurden, lenkt der Fallmeister nicht mehr mit Salz gefüllt Zillen, sondern Touristen in den Booten über die Kanäle. Als er am Festtag des Heiligen Nepomuk die Schleusen falsch bedient, stürzt das voll besetzte Boot den Großen Fall hinab, fünf Menschen ertrinken. War es ein Unfall, oder hat der Fallmeister vorsätzlich gehandelt? Sein Sohn wird versuchen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Das Wasserfest
Am Ende der Monsunzeit feiert das Königreich Kambodscha das Fest der Strömungsumkehr. In diesem Moment besinnt sich der Tonle Sap, der Süße Fluss, mündet in den Mekong und schlägt, wie alle Wasser dieser Erde, den Weg Richtung Meer ein. Dieser Fluss, der Tonle Sap, hatte zuvor seine Richtung umgekehrt und war seinem Ursprung, seinen Quellgebieten zugeflossen. An dem Abend des Festes sitzt der Erzähler an den Ufern der beiden Ströme, des Süßen Flusses und des Mekong, unter den Funkensträußen des Feuerwerks, und fragt sich, ob sein Vater einer ähnlichen Nostalgie verfallen ist, dem Wunsch, zu den Ursprüngen, in eine vermeintlich glorreichere Vergangenheit, zurückzukehren.
Mesopotamien
Mit dem Vater fuhr der Erzähler als Kind oftmals zu einer langgezogenen Sandbank, die wie ein gestrandeter Wal im Weißen Fluss lag, um dort Fische zu fangen und über dem Feuer zu braten. »Ich war dann ein Flußpirat am Mississippi, ein Forscher am Rio Negro oder ein römischer Kundschafter, der auf der vergeblichen Suche nach einer Furt sein Lager in Mesopotamien aufschlagen mußte und unter dem Gewicht seiner Waffen im Sand kniete.« Mesopotamien taufte der Vater diese Sandbank. Aus Ton, Sand und Schwemmlehm erschufen sie Gestalten der Phantasie und Kriechtiere: geflügelte Fische, Graureiher, die auf Beinen aus Weidenzweigen standen, Eidechsen und Flussschildkröten. Lange Jahre später, als er das Verschwinden seines Vaters aufzuklären versucht, erinnert sich der Erzähler an dieses Schöpfungsspiel.
Mira
Vier Jähre älter ist Mira, die Schwester des Erzählers. Die gläserne Schwester, nennt er sie, sie leidet unter der seltenen Glasknochenkrankheit. Als Kind liest sie ihm Szenen aus Flussmärchen oder Abenteuer von Unterwasserwesen in verschiedenen hohen, krächzenden oder tiefen Stimmen vor. Später erzählt sie ihm von dem in geschwisterlicher Liebe verbundenen ägyptischen Herrscherpaar. Als Königskinder herrschen Tut-Anch-Amun und seine Schwester als Pharao und Pharaonin über das fruchtbare Land am Nil. Auf der Suche nach seinem Vater sucht der Erzähler auch seine gläserne, seine geliebte Schwester, seine Pharaonin, auf, die einem Deichgrafen an die Küste gefolgt ist und in einem meeresumtosten Leuchtturm lebt.
Vergebung
Ist der Vater nun schuldig geworden, hat er die fünf Menschen getötet, wie im ersten Satz des Buches behauptet? Oder ist es nicht vielmehr der Sohn, der zum Schluss des Romans auf Vergebung hofft? Zu Beginn des Schreibens wusste Christoph Ransmayr es selber nicht: »Ich wollte beispielsweise am Anfang dieses Romans nicht wissen, wie er enden würde, und ließ offen, ob der beschriebene Fallmeister von seinem Sohn zu recht oder unrecht verdächtigt und beschuldigt wurde.« Wie die wirklichen Menschen, so handeln auch Romanfiguren unvorhersehbar, »sie stellen das, was ursprünglich geplant, intendiert, geträumt oder bloß ersehnt war, im Lauf ihrer Lebenszeit in den Schatten, verwandeln Absichten in ihr Gegenteil und geben so dem Leben ungeahnte Richtungen. Dieser Dynamik möchte ich folgen, wenn ich zu erzählen beginne und sage: Es war einmal.«