Man muss immer ganz auf der Seite seiner Figuren sein, sonst wären sie nur didaktisches Material, Strohmänner und -frauen für fremde Gedanken, das heißt, die ihrer Autoren. Um sie vorführen zu können als Beweis einer überlegenen politischen oder moralischen Haltung, nämlich der eigenen. Nichts ist öder, nichts langweilt mich beim Lesen mehr, literarische Klippschule sozusagen. Wie man die umgeht, zeigt Mann im »Untertan« vorbildlich, gerade weil dem satirischen Roman ein Moment des Besserwissens eingeschrieben ist, aus dem er seinen Reiz, seinen Humor, auch seine Schärfe und Präzision gewinnt. Heßling jedoch besitzt eine Ambivalenz, die ihn nicht völlig reduziert auf einen autoritären Charakter in seiner ganzen Schäbigkeit, sondern ihn gleichermaßen zeigt als jemand, dem Irritation und Zweifel nicht restlos fern liegen, ein durch und durch gezeichnetes Individuum wie wir alle. Das ist ein schmaler Grat, auf dem Mann da balanciert, aber er tut das perfekt.
Man lacht eben auch über sich selbst. Heinrich Mann denunziert nicht, vielmehr erkennt man im Romanpersonal immer wieder eigene Verhaltensweisen, so ungern man sie sich eingesteht. Nicht zuletzt ist der »Untertan« eine Aufsteigergeschichte, und leben wir heute nicht in einer Epoche, die wieder nicht genug kriegen kann von solchen Geschichten, aus der Garage an die Spitze der Börse? Was vielleicht eher ein Verfallszeichen als eines von Aufbruch zu neuen kapitalistischen Ufern ist, eine schräge Welt der Spekulation, in der man nur noch sein Schnäppchen machen will. Von CumEx bis Gamestop.
Satirisch, weil ich bestimmte Dinge beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen kann, insbesondere nicht, wie leichtgläubig sich die Leute nach wie vor das Geld aus der Tasche ziehen lassen. Andererseits befällt mich, denke ich an die Skrupellosigkeit vieler Protagonisten dieser Geschäftspraktiken, eine kalte Wut, wie ich sie in Pasolinis großem Romanfragment »Petrolio« wiederfinde, irgendwo dazwischen – zwischen Heinrich Mann und Pasolini, zwischen Satire und kalter Wut – wird das angesiedelt sein. Was sich jetzt ein wenig widersprüchlich anhört, aber so ist es.