Édouard Louis bewundert sie: »Anne Carson ist eine der originellsten und radikalsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen, eine bedeutende Autorin.« Über Carsons Antigone-Version sagt er, was auch für »Rot« unbedingt zutrifft: »Niemals schienen Aufstand und Melancholie so gerecht zu sein.« – Und Ocean Vuong zählt »Die Autobiographie von Rot« zu den »Zehn Büchern, die ich zum Schreiben meines Romans brauchte«:
Dieses hybride Buch (ein Versroman) hat mir gezeigt, was alles möglich wird, wenn eine erfundene Geschichte von anderen Texten in einen Kontext gerückt wird, auf den sie antwortet, sich mit ihm auseinandersetzt und gleichzeitig das Original feiert, indem die Erzählung selbst lebendig wird. Bei Carson wird das durch die Neubesetzung und Fortschreibung des klassischen Mythos von Geryon erreicht. Und mehr, sie verwendet Geryons anekdotisch überlieferte Biographie als Epizentrum einer größeren maskulin dominierten Erzählung; so dezentralisiert sie das griechische Original hin zu einer zeitgenössischen Vision vom schwulen Leben auf dem Land, von der Isolation, die mit der Arbeit als Künstler einhergeht und von den brutalen Folgen, die es mit sich bringt, sich in einem patriarchalischen System sich für die Innerlichkeit zu entscheiden.
Aber was mir an den Buch vielleicht am meisten gefällt, ist Carsons Weigerung, die Entwicklung des Protagonisten durch eine falsche, erzwungene Adaption von heterosexuellen Idealen darzustellen. Geryon ist ein stiller, schmaler, kreativer Muttersohn und wird nicht zu einem maskulinen Helden, um sich aus seiner Außenseiterrolle zu »erlösen«. Stattdessen verkörpert er mutig sein Anderssein – oder eine »Monströsität«, wie Carson es ausdrückt - durch eine von Gefühlen formierten ästhetische Position. Es ist ein Buch, dass auf der Notwendigkeit der Alterität besteht, statt sich dem Prozess der gebotenen Anpassung zu unterwerfen.
Quelle: LitHub