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Siegfried Ressel auf den Spuren von Wiesław Kielars Orten

Für die Neuausgabe von Wiesław Kielars »Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz« hat der Filmemacher Siegfried Ressel ein Vorwort geschrieben. Auf filmische Weise begibt er sich auf die Suche nach den Orten, die Kielar beschreibt.

Kielar-Orte

Nach der Lektüre von Wiesław Kielars »Anus Mundi« werden sich manche Leser vielleicht fragen, welche der Orte des Grauens, die der Autor beschreibt, heute noch existieren und ob man diese verbliebenen topographischen wie baulichen Relikte, so sie zugänglich sind, besichtigen kann. Diese Sehnsucht nach dem authentischen Ort ist verständlich, läuft jedoch ins Leere.

1. Auschwitz 1 Stammlager:

Wer nach Auschwitz fährt, um die dortigen Gedenkstätten zu besichtigen, die sich vor allem auf das ehemalige Stammlager Auschwitz 1 und das Vernichtungslager Birkenau mit seinen vier Gaskammern, Auschwitz 2, konzentrieren, findet zunächst eine inhomogene, verstörend zufällige und disharmonische Bebauung vor, in der sich zeitgenössische Zweckbauten, wilde Parkplätze, aufgelassene Industriebrachen, Gleisanlagen, Einfamilienhaussiedlungen, Verwaltungsgebäude, Autoreparaturbuden, Tankstellen usw. tummeln. Und: Bei Weitem nicht jeder Ort, jeder Platz und jedes Gebäude des ehemaligen SS-Interessengebietes Auschwitz ist entsprechend gekennzeichnet oder Teil der Gedenkstätte. Sowohl das Stammlager, als auch Birkenau befinden sich deutlich außerhalb der Stadt Oświęcim.

Wiesław Kielar kam mit dem ersten polnischen Häftlingstransport am 14. Juni 1940 in Auschwitz an. Die sogenannte »Auswaggonierung« der 728 Häftlinge erfolgte auf einem Nebengleis, das vom Bahnhof Auschwitz wegführt. Das Gleis existiert heute noch, ist aber gänzlich von Zweckbauten unterschiedlicher Nutzung umgeben.    

Die Häftlinge wurden zunächst im damaligen Gebäude des polnischen Tabakmonopols untergebracht. Auch dieses mehrstöckige Bürohaus existiert immer noch und wird unterschiedlich genutzt. Es befindet sich nicht sehr weit vom Stammlager entfernt inmitten eines Komplexes bestehend aus Büro- und Lagergebäuden sowie aus Parkplätzen.

Im ehemaligen Stammlager Auschwitz 1 gibt es naturgemäß viele Kielar-Orte, zumal die Blocks – ursprünglich waren es Kasernen der polnischen Armee – von außen sozusagen »originalgetreu« erhalten geblieben sind. 

Kielar beschreibt den Block 2, in dem er längere Zeit untergebracht war, den Block 28 des damaligen »Häftlingskrankenbaus«, in dem er Reiniger gewesen ist, den Strafblock 11 mit seinen Stehzellen im Untergeschoß, in dem Kielar mehrere Nächte lang Strafe stehen musste, sowie den gespenstisch harmlos aussehenden Rasenplatz zwischen Block 20 und 21, in dem die tödlichen Selektionen der kranken Häftlinge stattfanden, denen Kielar als Typhus-Patient nur knapp entkam.


Das Innere des Blocks 2 ist interessanterweise nahezu so belassen worden, wie es in der Lagerzeit ausgesehen hat. Die unterschiedlich großen Unterkunftsräume sind mit originalen Möbeln (Stockbetten, Tische, Hocker) bestückt; die Toiletten und Waschkauen sind nahezu unverändert erhalten. Leider ist dieser Block – wie viele andere ebenso – aus konservatorischen Gründen nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Ausnahmen werden nur für Historiker, Journalisten etc. gemacht.

2. Auschwitz 2 Birkenau:

Die allermeisten der ehemaligen Häftlingsbaracken in Birkenau sind abgerissen bzw. demontiert worden. Kein Block, in dem Kielar tätig oder untergebracht war, existiert mehr. Lediglich die Fundamente und Fragmente der Kamine sind aufzufinden, die immerhin die jeweilige Lage der Bauten inmitten des riesigen Lagerkomplexes nachvollziehen lassen. Das betrifft ebenfalls die Blöcke 8 und 12 im Lagerabschnitt B I a sowie den Block 8 im Abschnitt B II d und die Relikte der Häftlingskrankenbauten im Abschnitt B II f.

3. Porta Westfalica

Im Spätherbst 1944 wird Wiesław Kielar von Auschwitz aus »auf Transport« geschickt und gelangt über das KZ Sachsenhausen nach Porta Westfalica, wo er im Lager Barkhausen / Kaiserhof interniert wird. Er hat im Jakobsberg Zwangsarbeit für die Philips Röhrenwerke zu leisten, im Stollensystem Stöhr 2. Die Gebäude der Unterbringung existieren nicht mehr; ihre topographische Lage ist aber anhand von Hinweistafeln nachzuvollziehen. Das Stollensystem des Jakobsberges ist nicht betretbar, jedoch sind Tunneleingang und Betonfragmente von außen sichtbar.

4. Wöbbelin

Wöbbelin, ein Außenlager des KZs Neuengamme, war im Mai 1945 Kielars Ort der Befreiung. Von diesem Lager existieren keine originalen Relikte mehr; es ist nach dem Krieg vollständig abgerissen worden. Jedoch kann eine wohlkonzipierte Freiluft-Gedenkstätte besichtigt werden, die, einer Kunstinstallation gleich, durch Raumkörper die Lage des ehemaligen Lagers nachempfindet.

Wieslaw Kielar, 1919 in Przeworsk in Polen geboren, wurde im Mai 1940 von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Seine Haftzeit dort betrug 4 Jahre und 5 Monate. Danach folgte eine Odyssee durch mehrere deutsche KZs, bevor er im Frühjahr 1945 befreit wurde und nach Polen zurückkehrte. Dort arbeitete ...

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