Der Roman »Ours« erstreckt sich über Jahrzehnte und schafft ein ganz eigenes Verständnis von Zeit und Raum. Ein Zentrum gibt es aber doch, und das ist Saint. Sie ist eine rätselhafte Frau, die ihre geheimnisvollen Kräfte einsetzt, um versklavte Menschen zu befreien und ihnen einen vor der Außenwelt verborgenen Ort zu errichten, der »Ours« genannt wird. Saint ist beides, eine Art historische Figur, die fast aus der Zeit gefallen scheint, aber sie erinnert auch an eine zeitgenössische Superheldin …
Das stimmt, das ist nicht weit hergeholt. In meinem Wunsch, eine Mythologie für das zeitgenössische Schwarze Leben in den Vereinigten Staaten zu schreiben, schwingen sowohl die Vorstellung einer Superheldin als auch die Vorstellung einer mythischen Heldin mit, die sich auf eine Reise begibt, um sich selbst zu finden und sich auf den ultimativen Kampf vorzubereiten. Was sich den Leser*innen in »Ours« offenbart, ist Saints Weg aus ihrer mysteriöse Herkunft heraus in ihr Selbstverständnis als Heldin hinein. Aber auch die Ablehnung und Verneinung von Erwartungen, die mit dem Heldendasein einhergehen, wie z. B. die Rolle einer Anführerin einzunehmen. Und weil die Zeit der Sklaverei ein so allumfassendes historisches Ereignis ist, von dem Generationen von Traumata ausgehen, ist es Saints existentieller Kampf, die Sklaverei »aus der Zeit« zu verbannen. Sie will die Taten, das Tun beseitigen, ja, aber vor allem geht es ihr darum, die Quelle dieses Tuns zu beseitigen.
Viele der Figuren in »Ours« verwenden Wurzeln, Kräuter oder Steine, um Menschen entweder zu beschützen oder ihnen zu schaden. Der Roman erzählt von besonderen Praktiken, man könnte sie Aberglauben, Folklore oder sogar Magie nennen. Woher kommen diese Praktiken?
(…) Einige sind von spirituellen Traditionen und Religionen inspiriert, die aus Afrika (insbesondere Kongo, Nigeria, Togo, Benin und Sierra Leone) in die Karibik, nach Südamerika und in die USA gebracht wurden. Die wichtigste Praxis, die in diesem Buch vorkommt, ist Hoodoo, die ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten hat. Hoodoo baut auf dem Bewusstsein auf, dass alles, was wir zum Schutz und zur Heilung brauchen, aus der Erde kommt, weshalb wir die Verbindung zur Natur finden und pflegen müssen. In »Ours« vermischen sich die Traditionen (…). Manchmal bewegt sich Saint durch etwas, das sich eher wie selbst erfundene Zauberei anfühlt, während sie sich in anderen Momenten eindeutig im Hoodoo verortet.
Die Idee der Freiheit und der Unmöglichkeit, einen richtigen Weg zu finden, um frei zu sein, scheint der Kern von »Ours« zu sein ...
Das ist richtig, und ich würde sagen, dass auch die Frage danach, was Freiheit eigentlich ist, zu den wichtigen Themen des Romans gehört. Zu definieren, was Freiheit ist, wenn die Welt um einen herum gewalttätig ist und das Konzept Freiheit eigentlich verletzt, ist eine Aufgabe, die einen fast einschüchtern kann. Das erlebe ich auch im Moment, wenn ich mich damit auseinandersetze, wie der Kapitalismus die Freiheit vieler Menschen (mich eingeschlossen) verletzt hat, obwohl er vielen als der sichere Weg in die Freiheit vermittelt wurde. Ich frage mich, wie kann das sein: Wenn im Kielwasser des Kapitalismus die Armut wächst, die Natur verschmutzt wird, die Quellen für gesunde Lebensmittel schwinden, der Zugang zur Gesundheitsversorgung prekär wird, das Bildungswesen versagt und die Politiker immer dämonischer werden? All das schränkt die Freiheit ein, also kann die Quelle all dessen nicht der Weg in die Freiheit sein.
Eine sehr kraftvolle Zeile im Roman lautet: »Freiheit bedeutete nicht Sicherheit, und wenn es etwas gibt, das erschreckend unberechenbarer ist als Freiheit, dann ist es Liebe.« Wie sind die Ideen von Freiheit und Liebe miteinander verbunden?
Vielen Dank für das Kompliment! Die Freiheit, zu lieben, wen man will, war für mich ein wichtiges Thema in diesem Buch. Aber genau wie die Freiheit erlernt werden muss, damit sie verantwortungsvoll ausgeübt werden kann, muss auch die Liebe erlernt werden. Allerdings erfordert die Liebe, dass sich mehrere freie Menschen zusammentun und zusammen lernen, wie man mit einer gemeinsamen Freiheit umgeht, die die Handlungsfähigkeit des anderen nicht auslöscht. Während Freiheit bedeutet, dass eine Person entscheidet, wie sie ihr Leben leben will, ist Liebe eine Reihe von Entscheidungen zwischen zwei oder mehr Menschen, die individuell auf gesunde Weise frei sein können. Es ist die Einheit von einzelnen Freiheiten, die eine gesunde Liebesbeziehung ausmacht.
»Ours« ist nicht nur ein Epos, ein großer amerikanischer Roman, sondern auch ein einzigartiges und faszinierendes Echo literarischer Traditionen und Stimmen. Welche Autor*innen sind für Sie die wichtigsten, von wem sind Sie als Autor beeinflusst?
Hier ist einfach eine Liste, ohne sie zu erklären: José Saramago, Toni Morrison, Gabriel García Márquez, John Steinbeck, Gayl Jones, Carolivia Herron, Brigit Pegeen Kelly, Aimé Césaire, Ngũgĩ wa Thiong’o, Zora Neale Hurston, Thomas Glave, Edward P. Jones, Sonia Sanchez, Leon Forrest, und die Liste ist eigentlich noch viel länger. Bei manchen dieser Autor*innen ist es ein einziges Buch, das wichtig für mich ist. Bei anderen sind es mehrere, wenn nicht sogar ihr gesamtes Werk.
Vielen Dank für das Interview!