Früher mehr als heute. Die Romane um Kommissar Martin Beck von Maj Sjöwall und Per Wahlöö haben mich früher sehr begeistert. Raymond Chandler. Sehr wichtig war für mich ein amerikanischer Autor, der in Deutschland weniger bekannt ist: Jerome Charyn. Von Charyn habe ich über viele Jahre alles gelesen, was ich in die Finger bekommen konnte. Charyn hat allerdings nicht nur Krimis geschrieben, sondern auch viele andere Bücher, unter anderem eines über Ping Pong.
Details sind wichtig, auch wenn sie scheinbar nichts mit dem »Plot« zu tun haben. Deshalb erscheint das »Beiläufige und Zufällige«, wie Du es nennst, vielleicht gar nicht so zufällig. Figuren oder Situationen lassen sich gar nicht anders skizzieren, sonst bleiben sie – und damit auch die Erzählung – zweidimensional.
Grafs eigener zehnteiliger Film »Im Angesicht des Verbrechens« ist vielleicht deshalb in seiner Qualität so bestechend – weil man die ganze Zeit an den Figuren dranbleibt. Sebastian Schippers »Victoria« war und ist ein weiterer Solitär, aber das war Kino, kein Fernsehen.
Das Anfangsbild der auf dem Wasser treibenden Braut stand tatsächlich ganz am Anfang des Schreibprozesses von »Die Linie zwischen Tag und Nacht«. Das Bild war die Initialzündung für die Entwicklung des Textes. Bei den anderen beiden Romanen war es ähnlich. Bei jedem der drei Romane musste ich zuerst den bildhaften Einstieg in die Erzählung finden, als wäre ich auf der Suche nach der richtigen Kamera-Einstellung. »Die Sprache des Regens« beginnt mit der auf dem Meer vorüberziehenden Stadt, die auch eine riesige Maschine sein könnte. Das allererste Bild im »Januarmorgen« beschreibt den Wolf, der den zugefrorenen Fluss überquert und dann über weite, verschneite Felder zieht, bis er schließlich verschwindet. Eine Luftaufnahme, könnte man sagen, an der ich lange gearbeitet habe, bis sie für mich stimmte. Von dem strahlend hellen, stillen Bild des Wolfs im Schnee führt die Geschichte dann weiter zu der Massenkarambolage auf der verschneiten Autobahn bei Nacht.
Karl ist ein an seinem Beruf zerbrochener Polizist, der vollkommen zurückgezogen in einer Hütte auf einer der Inseln im Tegeler See lebt. Das Bild von dem Schlittschuhläufer zeigt einen Außenseiter, der sich durch einen fast vollkommen schwarzen Raum bewegt. Darin ähneln sich Karl und die Hauptfigur Tommy, die selbst komplett aus der Bahn geworfen wurde.
Ja, ich glaube an sowas wie Stil. Zumindest weiß ich, was ich beim Schreiben suche und was ich vermeide. Ich komme ursprünglich vom Theater. Theater erstickt an falscher Ausführlichkeit, gute Theatertexte leben meiner Meinung nach – unter anderem – von Auslassungen, und diesen Ansatz habe ich für meine Form der Prosa sicher übernommen. Gleichzeitig sind meine Theatertexte oft »narrativ«, die Prosatexte hingegen vielleicht eher »bildhaft«. Die Theatertexte und die Prosa verhalten sich damit zueinander andersherum, als man vielleicht zunächst erwarten würde. Beide Ansätze entspringen einer gewissen Verweigerungshaltung. Ich will die Dinge nicht »zu Ende erzählen«. Details sind wichtig, aber ich will nicht alles ausformulieren.
Das war ungewohnt und erstmal komplizierter als ich gedacht hatte, da der Ich-Erzähler ja nicht die Erzählperspektive wechseln kann, das heißt, er kann nicht einfach von der Wahrnehmung einer Figur zu der nächsten springen. Der Erzähler in Ich-Form weiß nur, was er durch eigenes Erleben wissen kann. Alles, was er nicht wissen kann, muss ihm jemand berichten. Oder er muss es herausfinden. Er muss sich auf die Suche machen, und das ist eines der Themen des Buches.
Wäre dieser Unfall ein reiner Zufall gewesen, hätte er Tommy vielleicht nicht in diesem Ausmaß aus seinem Leben herauskatapultiert. Für Tommy wird der Tod des Kindes, das er während eines Polizeieinsatzes überfährt, zu dem ebenso logischen wie furchtbaren Resultat einer langen Rechnung von Sinnlosigkeiten.
Was die von Dir angesprochene »Veränderung« angeht – ich glaube, es gibt in der Literatur – ob im Theater oder in der Prosa, bei Lyrik bin ich mir nicht sicher, aber eventuell trifft die These am Ende auch da zu, immer diese untergründigen Themen: Etwas muss oder wird sich ändern. Oder auch: etwas darf sich nicht ändern, ich will oder muss eine Veränderung verhindern. Oder: eine Veränderung bricht über mich herein, und jetzt muss ich handeln. Oder: eine Veränderung bricht über mich herein, und ich bin unfähig zu handeln.
… oder eine kolumbianische Zeichnerin oder einen kroatischen Dachdecker, einen italienischen Kellner und einen russischen Automechaniker. Berlin ist eine in vieler Hinsicht hermetische, elitäre Stadt und gleichzeitig immer noch ein in der Bundesrepublik einzigartiger Ort der Freiheit und der Subkultur. In einer anderen deutschen Großstadt würde ich nicht leben wollen. Hier leben meine Kinder, und hier leben viele meiner Freunde, die aus unterschiedlichen Teilen der ganzen Welt kommen, und das macht für mich die Schönheit dieses Ortes aus.
Weil du sagst: »nicht nur wegen Corona« – es ist in der Tat ein mehr als sonderbares Gefühl, diesen Text mit seinen Beschreibungen von auf engstem Raum tanzenden Menschenmassen jetzt als Buch in der Hand zu haben. Durch Corona erscheint der vor der Pandemie geschriebene Text nun auf einmal wie aus einer anderen Zeit. Vielleicht erscheint er in diesem Moment auch als Utopie – aber so war der Text natürlich ursprünglich nicht gedacht.
Die Freundschaften in der Geschichte sind oft gleichzeitig brüchig und eng. Die Figuren haben zum Teil fast nichts als diese Freundschaften, woran sie sich festhalten können. Gegen alle Widerstände versuchen sie, so etwas wie eine neue, eigene Familie zu erschaffen.
Beim Schreiben des Moments mit Mauricio in dem Restaurant habe ich selbst nicht unbedingt gelacht. Das war eine Szene, an der ich sehr lange gearbeitet habe – der Moment mit dem tanzenden Jungen ist zunächst lautlos, langsam, fast wie in Zeitlupe, und dann zersplittert alles. Bei der Diskussion am Tischtennistisch darüber, wer der legitime Raumschiffkommandant der EU MAX SCHMELING ist, wird die elementare, existentielle Ebene des Universums allerdings eindeutig verlassen.