Um welche Fragen geht es in Ihrem Buch und in der Theorie, die Sie gemeinsam mit Stephen Hawking entwickelt haben? Wie unterscheidet sich letztere von anderen Theorien über den Urknall?
Stephen Hawking ist insbesondere für seine Arbeit zu Schwarzen Löchern bekannt, doch wir beide haben auch den Urknall erforscht. Das große Rätsel, das sich durch unsere Arbeit zog, waren die fein austarierten Eigenschaften, die unser Universum lebensfreundlich machen. Warum hat der Urknall genau die richtigen Rahmenbedingungen für Leben geschaffen? Was sagt das über unseren Platz in der großen kosmischen Ordnung aus? Solche Fragen führen die Physik weit aus ihrer Komfortzone hinaus. Doch genau in diesen Bereich wagte sich Hawking gerne vor. Dabei erwies sich seine unvergleichliche Intuition, die durch Jahrzehnte profunden kosmologischen Denkens geprägt war, als prophetisch.
Ich traf Stephen Hawking zum ersten Mal 1998 in Cambridge, als er mich als Doktorand unter seine Fittiche nahm, um an einer »Quantentheorie des Urknalls« zu arbeiten – so seine Worte. Es war die Blütezeit der Multiversumskosmologie, der Idee, dass es nicht nur ein Universum, sondern viele Universen gibt. Die Theoretiker des Multiversums stellen sich einen unendlichen Raum vor, in dem ständig neue Universen entstehen, jedes mit seinem eigenen Urknall. Das Multiversum lieferte damals eine plausible Erklärung für die lebensfreundlichen Bedingungen unseres Universums. Denn selbst wenn es in den meisten Universen kein Leben gäbe, müsste irgendwann eines mit den richtigen Voraussetzungen für die Entstehung von Leben entstehen. Augenscheinlich befinden wir uns in einem Universum, in dem dies der Fall ist.
Hawking war einer der ersten Kosmologen, der erkannte, dass die Multiversumstheorie keine richtige wissenschaftliche Hypothese ist. Das liegt nicht nur daran, dass wir offensichtlich nicht beobachten können, was in anderen Universen vor sich geht. Die Multiversumskosmologie liefert keine eindeutigen Vorhersagen darüber, was wir in unserem eigenen Universum vorfinden sollten. Das bedeutet, dass sie nicht verifizierbar ist.
Also gaben Hawking und ich das Multiversum auf und begannen, eine andere Kosmologie zu entwickeln, die auf den Prinzipien der Quantentheorie basiert. Laut unserer Theorie ist der Urknall tatsächlich ein Ursprung, und nicht, wie in der Theorie des Multiversums, eine Art Explosion, die sich in einem größeren Raum abspielt.
Welche Auswirkungen hat die Theorie auf die Art und Weise, wie wir unsere Rolle im Universum verstehen?
Ich glaube nicht, dass unsere Theorie des Urknalls alleine viel über unsere Rolle im Universum aussagt. Das ist eine Frage, die über die Wissenschaft hinausgeht. Aber unsere Theorie stellt eine Art ontologischen Neustart dar, eine gewisse existenzielle Neuausrichtung. Ich vermute, dass sich dies letztendlich auf unser Weltbild auswirken wird.
Seit Äonen betrachten wir die fundamentalen Gesetze der Physik als ewige mathematische Wahrheiten, die das physikalische Universum irgendwie übersteigen. Die Gesetze der Schwerkraft oder der Quantenmechanik werden üblicherweise als Annäherungen an eine endgültige Theorie verstanden, die irgendwo da draußen in einem bislang unentdeckten Bereich existiert. Albert Einstein war bekanntlich auf der Suche nach einer solchen Theorie. Hawking behauptete in den 1980er Jahren sogar, wir hätten sie fast gefunden.
Aber das ist nicht meine Sicht der Dinge. Die Hawking-Hertog-Theorie vertritt die Ansicht, dass der Urknall nicht nur der Ursprung der Zeit ist, sondern dass er in seinem Anfangsstadium die Genealogie der physikalischen Gesetze enthält. Kurz vor seinem Tod gelangten Stephen und ich zu einem grundlegend evolutionären Verständnis der Physik. Allerdings offenbarte sich dieser evolutionäre Charakter der physikalischen Gesetze nur in den frühesten Stadien der Entwicklung des Universums. Als das Universum anfing sich auszudehnen, wurden die physikalischen Gesetze sozusagen eingefroren. Ganz ähnlich wie das biologische Gesetz, nach dem alles Leben auf der Erde auf DNA basiert. Diese neue Ebene der Evolution, über die ich in meinem Buch schreibe, liegt also tief in der Urzeit verborgen. Das ist der Grund, warum wir diese Entwicklung nicht bemerken und warum wir dazu neigen, uns die Gesetze der Physik als ewige Wahrheiten vorzustellen.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Stephen Hawking erlebt?
Es war eine große Entdeckungsreise. Oder vielleicht sollte ich sagen: eine Detektivgeschichte. Was als Promotionsprojekt begann, entwickelte sich im Lauf von zwanzig Jahre zu einer intensiven Zusammenarbeit, die erst mit Stephens Tod vor fünf Jahren, am 14. März 2018, endete.
Durch unsere gemeinsame Arbeit sind wir uns nähergekommen. In seiner Gegenwart wurde man unweigerlich von seiner Entschlossenheit und seiner Zuversicht mitgerissen, dass es gelingen würde, diesen geheimnisvollen kosmischen Fragen auf den Grund zu gehen. Er gab mir das Gefühl, dass wir unsere eigene Schöpfungsgeschichte schrieben, was wir in gewisser Weise auch taten.
Natürlich wurde es gegen Ende seines Lebens sehr schwierig, mit ihm zu kommunizieren. Er hatte schon lange seine Stimme verloren und auch die Kommunikation über seinen Computer verlangsamte sich: Aus einigen Wörtern pro Minute wurden einige Minuten pro Wort, bis die Kommunikation schließlich ganz erstarb. Währenddessen stieg das Interesse an dem, was er zu sagen hatte, immer weiter. Unsere geistige Verbindung, die sich durch die jahrelange enge Zusammenarbeit vertieft hatte, ermöglichte eine Verständigung jenseits verbaler Kommunikation. Man könnte wohl sagen, dass wir eine sehr intime Art entwickelt haben, über Kosmologie zu diskutieren.
Wie hat die gemeinsame Arbeit Ihre Sicht auf die Kosmologie und die Wissenschaft im Allgemeinen verändert?
Stephen und ich entdeckten, wie die Physik selbst im Urknall verschwinden kann. Nicht auf die Gesetze als solche kommt es in unserer Theorie an, sondern auf ihre Fähigkeit, sich zu verändern. Das wirft ein ganz neues Licht darauf, worum es in der Kosmologie und der Wissenschaft letztlich geht.