Einleitung
Prompt:
Könntest du aus den folgenden Stichpunkten einen Einleitungstext für ein Literaturmagazin, die Neue Rundschau, schreiben, in dem der Lektor Albert Henrichs und die Autor:innen Juan Guse und Jenifer Becker in kollaborativer Arbeit mit ChatGPT Kurzgeschichten veröffentlichen. Nüchtern, sachlich, distanziert:
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ChatGPT, Albert Henrichs, Juan Guse und Jenifer Becker schreiben gemeinsam Kurzgeschichten, um zu testen, ob und wie sich aktuell mit Chatbots literarisch schreiben lässt.
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Die Kurzgeschichten sind das Ergebnis einer schriftstellerischen Kollaboration mit ChatGPT.
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Fragen, die uns beschäftigten: Wie gut lässt sich mit Chatbots Literatur produzieren? Handelt es sich um eine neue Form des Schreibens? Und welche Geschichten halluziniert ChatGPT?
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Vorgehensweise: Überlegungen zu einem gemeinsamen Ausgangspunkt der Storys.
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Regel: Wir dürfen nicht in den Text eingreifen, sondern lediglich mit Prompts arbeiten (nicht mal einzelne Wörter dürfen einfach so gestrichen werden).
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Kathrin Passigs Text Sie befinden sich hier wird als Vorlage genutzt.
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Albert generiert ein Setting mit ChatGPT.
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Wir entscheiden uns für das Australien-Setting
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Juan schreibt aus Perspektive Thomas, Jenifer aus Perspektive Maria.
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Der Text aus Marias Perspektive entsteht zuerst und steht für ein Beispiel, bei dem sehr viel geprompted und eingegriffen wurde (180 Prompts, 100 Normseiten Text in einer Arbeitszeit von 2 Std.).
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Der Text aus Thomas’ Perspektive entsteht wiederum auf Grundlage von Alpha Centauri in Ewigkeit und steht als Beispiel für einen Text, in den wenig eingegriffen wurde.
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Während des Arbeitsprozesses haben wir gemerkt, dass ChatGPT schlechter geworden ist (was online diskutiert wird und mittlerweile in Studien nachgewiesen ist).
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Fazit: Noch lassen sich mit Chatbots keine Geniestreiche generieren; je weniger wir als Autor:innen eingreifen, desto generischer sind die Ergebnisse; kollaborative Verfahren machen Fun; Textergebnisse mit Chatbots sind hochgradig abhängig vom Input und der Sprache + Arbeitsweise der jeweiligen Autor:in (so wie Schreiben ohne KI auch).
ChatGPT
In dieser Ausgabe des Literaturmagazins tauchen wir in eine spannende neue Welt des literarischen Schaffens ein. Albert Henrichs, ein renommierter Lektor, tritt in kollaborative Verbindung mit den talentierten Autor:innen Juan Guse und Jenifer Becker, und nicht zu vergessen, mit ChatGPT, um gemeinsam Kurzgeschichten zu entwerfen. Eine innovative Partnerschaft, die die Frage aufwirft: Wie effektiv lässt sich mit Chatbots Literatur schaffen? Betreten wir hierbei das Territorium einer neuen Ära des Schreibens? Welche Geschichten entstehen, wenn künstliche Intelligenz einen Platz am Autorentisch bekommt?
Der kreative Prozess begann mit der Suche nach einem gemeinsamen Ausgangspunkt für die Geschichten. Inspiriert durch Kathrin Passigs Sie befinden sich hier, generierte Albert Henrichs gemeinsam mit ChatGPT ein Setting, das letztendlich das weitläufige Australien wurde. Juan Guse übernahm die Schreibarbeit aus Thomas’ Sicht, während Jenifer Becker aus Marias Perspektive schrieb. Der Text über Maria (Alpha Centauri in Ewigkeit) zeugt von intensiver Zusammenarbeit mit dem Chatbot, wobei mehrfach geprompted und angepasst wurde – 180 Mal, um genau zu sein, und das Ergebnis waren beeindruckende 100 Normseiten in nur zwei Stunden. Im Gegensatz dazu wurde Thomas’ Geschichte auf Grundlage von Alpha Centauri in Ewigkeit geschrieben und zeigt einen Text, in den weniger manuell eingegriffen wurde. Doch wie viele Eingriffe waren nötig, und wie lange hat dieser Prozess gedauert?
Interessant ist, dass während uns kollaborativen Arbeit auffiel, dass ChatGPT möglicherweise an Effizienz verloren hat – ein Punkt, der online heiß diskutiert wird und den aktuelle Studien zu bestätigen scheinen.
Unsere Erfahrung? Bisher sind Geniestreiche von Chatbots eher selten. Je weniger wir als Autor:innen eingreifen, desto generischer erscheinen die Ergebnisse. Dennoch, kollaborative Ansätze können unglaublich unterhaltsam sein. Das Endresultat, das mit einem Chatbot erstellt wird, hängt stark vom gegebenen Input, der verwendeten Sprache und dem individuellen Schreibstil des Schreibers ab – ganz so, wie das Schreiben ohne KI. Es zeigt sich, dass die Magie des Geschichtenerzählens von vielen Faktoren beeinflusst wird, und KI ist nur einer von ihnen.
Prompt:
Könntest du den Absatz noch mal umschreiben, distanzierter, wissenschaftlicher, nüchterner:
In dieser Ausgabe präsentieren wir eine Untersuchung zur Integration künstlicher Intelligenz in den literarischen Schaffensprozess. Unter der Leitung des Lektors Albert Henrichs haben die Autor:innen Juan Guse und Jenifer Becker gemeinsam mit der künstlichen Intelligenz ChatGPT Kurzgeschichten entwickelt. Diese Zusammenarbeit zielt darauf ab, die Eignung von Chatbots in der Literaturproduktion zu evaluieren und die potenziellen Vor- und Nachteile aufzudecken.
Der Entwicklungsprozess der Geschichten begann mit einer initialen Überlegung zu einem gemeinsamen Setting, inspiriert von Kathrin Passigs Kurzgeschichte Sie befinden sich hier. Albert Henrichs und ChatGPT entschieden sich schließlich für ein Australien-Setting. Die Kurzgeschichte Alpha Centauri in Ewigkeit aus Marias Sicht, verfasst von Becker, involvierte 180 Eingriffe (Prompts) und resultierte in 100 Normseiten innerhalb von zwei Stunden. Im Kontrast dazu basierte Guses Text über Thomas auf Alpha Centauri in Ewigkeit und erforderlich deutlich weniger manuelle Intervention. Spezifische Daten bezüglich der Anzahl der Eingriffe und der Dauer des Schreibprozesses für diesen Text stehen noch aus.
Während des Projektes wurde beobachtet, dass ChatGPT möglicherweise in seiner Effizienz nachgelassen hat, ein Aspekt, der in aktuellen Online-Diskussionen und neueren wissenschaftlichen Untersuchungen thematisiert wird.
Die vorläufigen Schlussfolgerungen deuten darauf hin, dass die literarischen Beiträge von Chatbots bislang nicht als herausragend bezeichnet werden können. Eine geringe Intervention von menschlichen Autor:innen führt oft zu generischeren Ergebnissen. Die Qualität der von Chatbots produzierten Texte hängt stark von dem gegebenen Input und der individuellen Herangehensweise des jeweiligen Autors oder der Autorin ab, vergleichbar mit traditionellen Schreibmethoden ohne den Einsatz
von KI.
Alpha Centauri in Ewigkeit
Die Sonne senkte sich am westlichen Horizont und tauchte die australische Wildnis in warmes orangefarbenes Licht. Ich rieb mir den Staub aus den Augen und starrte auf die verblasste Landkarte, die auf meinem Schoß lag. Thomas’ Blick fixierte den sich langsam verdunkelnden Himmel. Mit einer berechnenden Ruhe versuchte er, unsere Position anhand der ersten sichtbaren Sterne zu bestimmen. Seine Handbewegungen, präzise und methodisch, skizzierten unsichtbare Linien zwischen den funkelnden Punkten. »Wir sollten etwa hier sein«, sagte er und zeigte auf einen unscheinbaren Punkt auf der Karte. Thomas war gut darin, selbst in den chaotischsten Momenten Stabilität zu suggerieren. Während er mit einem angespannten Gesicht die drohende Gefahr des verdunstenden Wassers erkannte und uns eindringlich vor dem bevorstehenden Verderben warnte, war mir die Gefährlichkeit der Situation längst bewusst. Ich deutete in den klaren Nachthimmel und zeigte auf einen leuchtenden Punkt. »Schau«, sagte ich zu Thomas, »das dort oben ist Alpha Centauri, der uns am nächsten gelegene Nachbarstern.« Mein Blick wanderte weiter, und ich zeigte auf eine helle, neblige Ansammlung von Lichtern. »Und siehst du diese Wolken dort? Das sind die Magellanschen Wolken, zwei Begleitgalaxien unserer eigenen Milchstraße.« Thomas schaute mich mit einem fragenden Blick an. »Woher weißt du das?« »Ich habe mir eine Sternen-App heruntergeladen, weil ich in den letzten Wochen wegen des Jetlags nicht schlafen konnte.« Während ich sprach, spürte ich das Gewicht meines iPhones in meiner Hand. Mir wurde bewusst, dass weder GPS noch WLAN in der gnadenlosen Wildnis des Outbacks funktionierten. Die Frage, warum wir nicht mehr technische Ausrüstung mitgenommen hatten, drängte sich auf. Ich fragte Thomas, ob wir genauso dumm waren wie Christopher McCandless. Wir erinnerten uns daran, wie wir mit 21 Jahren auf einem Sofa in einer Herberge in Bukarest gelegen hatten und den Film Into the Wild gemeinsam angeschaut hatten. Wir waren voller Rausch und Gelächter, während wir den Abenteuern des jungen Idioten folgten. »Haben wir damals in Bukarest schon geahnt, dass wir eines Tages unsere akademischen Jobs aufgeben und im Outback wandern würden, um unsere eigene innere Reise anzutreten?« Thomas seufzte frustriert und warf einen genervten Blick in die endlose Weite des Outbacks. Ein sanftes Säuseln des Windes strich über das Gras, begleitet vom zarten Zirpen der Grillen. Thomas strich sich mit einer nachdenklichen Geste über die Cargohose. Die Hose war praktisch und funktional, mit vielen kleinen Details wie den verstellbaren Reißverschlüssen, die es ihm ermöglichten, sie bei Bedarf unterhalb der Knie zu verlängern. Der strapazierfähige Stoff vermittelte den Eindruck von Abenteuerlust und Vorbereitung auf alle Eventualitäten. Vor einigen Monaten hielt Thomas noch Vorlesungen über Festigkeitslehre und vermittelte den Studierenden sein Wissen über die Materialeigenschaften und Belastbarkeit von Baustoffen. Außerdem hatte er in einem multinationalen Unternehmen gearbeitet. Ich dachte darüber nach, wie erleichtert ich war, keine Schreibseminare mehr an der LMU geben zu müssen. Ich schlug vor, in Richtung von Alpha Centauri zu laufen. Thomas nickte zustimmend.
Wir begannen uns in Richtung des orangefarbenen Himmels zu bewegen. Hin und wieder hörten wir das Heulen eines Dingos in der Ferne, das wie ein Echo der Einsamkeit durch die Landschaft hallte. Ich hatte den Eindruck, dass jetzt der perfekte Zeitpunkt gekommen war, um etwas Dummes aus vergangenen Tagen wieder aufleben zu lassen. Im Winter, in dem wir uns kennengelernt hatten und noch nicht sicher waren, ob wir uns daten oder einfach nur anfreunden würden, begannen wir damit, Komposita aneinanderzureihen, inspiriert von den bleichgesichtigen Philo-Jungs in unserem Kurs, die diese Wörter mit großer Inbrunst aussprachen. Ich dachte einen Moment nach und sagte dann: »›Derridasphäre‹ – ein hypothetischer Raum, in dem die Grenzen zwischen Sprache und Realität verwischen.« Thomas erwiderte: »›Nietzchebel‹ – eine theoretische Verschmelzung von Nietzsche und revolutionären Ideen, die die bestehende Weltordnung herausfordern würde.« »›Butleresenz‹ – eine inspirierende geistige Ansteckung, bei der Geschlechtsidentitäten und soziale Normen durch Judith Butlers Konzepte der Performativität und des sozialen Konstruktionismus in Frage gestellt werden und neue Horizonte des Denkens und der Selbstreflexion eröffnen.« »›Foucaultopia‹ – eine imaginäre Welt, in der die Machtdynamiken und Überwachungsmechanismen nach den Prinzipien des französischen Philosophen Michel Foucault außer Kraft gesetzt werden?« »›Spivak-Schleier‹ – ein metaphorischer Schleier, der die Unsichtbarkeit und Unterdrückung der Subalternen repräsentiert und durch Gayatri Chakravorty Spivaks postkoloniale Theorien in den Fokus rückt.« »›Nussbaum-Nektar‹ – ein erhebendes Elixier der Mitmenschlichkeit und des Mitgefühls, das durch Martha Nussbaums Theorien über die Fähigkeiten des Menschen zur Entfaltung eines gelingenden Lebens inspiriert wird.« »›Kristeva-Ekstase‹ – ein Zustand der ekstatischen Faszination, in dem das Subjekt durch Julia Kristevas Konzepte der Abjektion und des Symbolischen in den Abgründen des Unbewussten neue Sinnhorizonte entdeckt.«
Nachdem wir eine Weile damit verbracht hatten, Komposita wie die »Simondon-Strömung« zu erfinden, wurde uns beiden bewusst, dass unsere Unterhaltung uns durstiger machte. Infolgedessen entschieden wir uns, das Spiel zu beenden, und stattdessen griff Thomas nach meiner Hand, ein stummer Ausdruck des Verständnisses und der Verbundenheit zwischen uns. Ich war froh darüber, dass wir nie miteinander geschlafen hatten, denn ich wusste, dass unsere Beziehung sonst wahrscheinlich in einer toxischen Implosion geendet wäre. Die Dingos, die in der Ferne bellten, schienen fast wie mythische Wesen, die ihre Stimmen durch die endlose Weite trugen.
Während die ersten Sterne das violette Dämmerlicht durchbrachen, begann ich, das Versagen unseres Navigationsgeräts als Metapher für die westliche Welt zu sehen. Es war, als ob unser Gerät, das einst zuverlässig unseren Weg durch diese gezeigt hatte, nun seine Fähigkeit verloren hätte, uns durch das unwegsame Terrain zu führen, genau wie das System des Spätkapitalismus uns in eine Sackgasse der Verwirrung und Verlorenheit geführt hatte. Das Navigationsgerät, einst unser rettender Anker, lag nun kalt und nutzlos in meiner Handfläche, ein zahnloses Biest, das seine eigene Energie in einem unstillbaren Hunger aufgezehrt hatte. Ich sah es vor mir, wie ein Raubtier, das in rasendem Appetit das eigene Fleisch zerriss, sich selbst in einem fortlaufenden Zyklus von Zerstörung und Wiederaufbau verzehrte. Während ich über diese Worte nachdachte, spürte ich den Drang, meine Eindrücke in meinen Notizblock zu kritzeln. Vielleicht würde ich diese Szene eines Tages in einen Roman einfließen lassen und die Leser mit auf diese aufregende Reise nehmen. Ich erinnerte mich daran, wie Thomas auf der Book-Release-Party meines ersten Romans die Zigarette zwischen Ringfinger und Mittelfinger hielt und sich über meine literarischen Ambitionen lustig machte, während er immer wieder betonte, dass die Welt nicht unbedingt auf noch eine Schriftstellerin wartete. Ich fragte mich, wie mein Roman über unsere Verirrung im Outback heißen würde und ob ich darin beschreiben würde, wie Thomas und ich gezwungen waren, in einem aufgeschnittenen Bauch eines toten Kängurus zu übernachten.
Wir liefen stundenlang, die Dunkelheit der Nacht umhüllte uns. Mein Mund fühlte sich trocken an, als ob der Nachthimmel all die Feuchtigkeit in der Luft aufgesogen hätte. Wir ließen uns erschöpft neben einem massiven Felsen nieder, der uns Schutz vor dem eisigen Hauch der Nacht bot. Der sandige Boden fühlte sich kühl unter meinen Fingern an. Alpha Centauri, der uns am nächsten gelegene Nachbarstern, strahlte mit hellem Glanz und wirkte wie ein Leuchtturm im unendlichen Ozean des Universums. In seiner Nähe konnte ich die schwächere Präsenz von anderen Sternen erkennen, die ihn umgaben und ihm eine tiefere Bedeutung verliehen. Es war, als ob sie ihm ihre verborgenen Geschichten anvertrauten, während sie im fernen Raum zusammenkamen und sich zu einem Bild von erstaunlicher Harmonie fügten. Diesmal griff ich nach Thomas’ Hand. Unsere Freundschaft war wie ein leuchtendes Nebelband inmitten der Dunkelheit, eine Verbindung, die jenseits des Materiellen und Greifbaren existierte.
Als die Sonne aufging, öffnete ich meine Augen und fand mich in einer unwirklichen Welt der Hitze wieder. Die Sonne hatte den Himmel in ein flammendes Gemälde verwandelt. Mein Mund fühlte sich an wie Sandpapier, ich wischte die getrocknete Spucke aus den Mundwinkeln. Neben mir lag Thomas auf der Seite, eingerollt wie ein Embryo. Sein Atem war flach und kaum wahrnehmbar, als ob er nur die minimale Menge an Luft benötigte, um am Leben zu bleiben. Trotz der körperlichen Erschöpfung und des quälenden Durstes spürte ich eine seltsame Ruhe in mir, eine Verbindung zu diesem unwirklichen Ort, der uns herausforderte und unsere Grenzen testete. Ich senkte meinen Blick auf meine abgenutzten Wanderschuhe und betrachtete sie mit einer fast pedantischen Genauigkeit. Das Obermaterial, ein robustes Mesh-Gewebe, das dem ständigen Einsatz standhielt und gleichzeitig ausreichend Atmungsaktivität gewährte. Die Verstärkungen aus strapazierfähigem Kunstleder, die das Zusammenspiel von Schutz und Flexibilität ermöglichten. Jeder einzelne Knoten auf den Schnürsenkeln, festgezogen, um einen sicheren Halt zu gewährleisten. Ich weckte Thomas. Seine Hand verweilte einen Moment auf den ausgetrockneten Lippen, bevor er sich mit einem resignierten Seufzen langsam aufrichtete.
Innerhalb einer Stunde wurde die Luft um uns herum zu einem wabernden Schmelztiegel. Der Himmel brannte in einem klaren, gnadenlosen Blau. Die sengende Hitze formte die Landschaft um uns herum zu einer unwirklichen Kulisse. Unsere Schritte wurden langsamer, mühsamer, als ob wir gegen unsichtbare Widerstände ankämpfen müssten. Visionen von Wasserlöchern tauchten vor meinem inneren Auge auf, nur um wieder zu verschwinden, sobald ich danach griff. In der Ferne materialisierte sich langsam ein glitzernder Punkt. Das Licht der Sonne fing sich darin und brach sich in tausend funkelnde Reflexionen. Es war, als ob flüssiges Silber über die Weiten des Horizonts schwebte, eine geheimnisvolle Erscheinung inmitten der sengenden Hitze. Thomas schien dasselbe zu sehen wie ich. Wir standen dort, den Blick in den unendlichen Himmel gerichtet. Der Uluru ragte als markante Silhouette empor, ein Symbol für koloniale Gewalt und gleichzeitig auch für den Widerstand und die Resistenz der Kolonialisierten in ihren Auseinandersetzungen um Identität und Landbesitz. In ihrem weiten und majestätischen Ausmaß trugen die roten Ebenen und endlosen Wüsten die Spuren einer tief verwurzelten kolonialen Vergangenheit. Die Geschichten von Eroberung und Ausbeutung vermischten sich mit den immateriellen Schichten der Kultur und erzeugten eine surreale Atmosphäre, die gleichermaßen faszinierend und beklemmend war. In dieser Welt des Hyperrealen, in der Fiktion und Realität miteinander verschmolzen, fanden wir uns gefangen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ich erwog für einen Moment, meine Gedanken mit Thomas zu teilen, entschied mich jedoch letztendlich dazu, doch nichts zu sagen. Wir gingen schweigend nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Gedanken, ohne ein Wort zu wechseln.
Zweiter Teil
Thomas schlug die Augen auf, das Dämmerlicht weckte ihn sanft aus einem schlafbefangenen Halbdämmer. Die Wüstenlandschaft, die sich vor ihm ausbreitete, war seltsam unberührt, eine erhabene Leere, die gleichzeitig schmerzlich leer und seltsam faszinierend war.
Doch dann zog etwas seine Aufmerksamkeit auf sich, etwas, das sich stark von der monotonen Ausdehnung der Wüste abhob. Im fahlen Morgenlicht konnte er die Silhouette eines Ortes ausmachen, der ihm seltsam vertraut, aber gleichzeitig unerklärlich fremd erschien.
Es war ein Ort, der nicht in diese Welt zu gehören schien, ein ungreifbarer, surrealistischer Raum. Ein Vergnügungspark, sein konturenhafter Umriss leicht schwebend in der aufsteigenden Wüstenhitze. Die Fahrgeschäfte, die Achterbahnen, die Karusselle – alles schien in der Luft zu hängen, getragen von nichts als der sengenden Wüstenluft.
Er weckte Maria vorsichtig. »Schau mal«, flüsterte er und zeigte in Richtung des Parks. Auch sie konnte es sehen. Die beiden starrten schweigend auf die schwebenden Gebilde, die Realität für einen Augenblick aussetzend. Es war, als ob sie in einen Traum eingetreten wären, einen Traum, der sich hartnäckig weigerte, zu enden.
Sie verließen ihr provisorisches Lager und gingen auf den surrealen Vergnügungspark zu. Die Hitze der Wüste stieg in Wellen von dem sandigen Untergrund auf und flimmerte über der Landschaft. Trotzdem ging Thomas mit fester Entschlossenheit voran, während Maria ihm dicht auf den Fersen folgte.
Der Park schien mit jedem Schritt näher zu kommen, doch die Hitze machte es schwierig, die Entfernung richtig einzuschätzen. Sie marschierten weiter, geblendet von der blendenden Sonne und der verwirrenden Vision vor ihnen.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, gab der Boden unter Thomas nach. Mit einem erschrockenen Aufschrei stürzte er in die Tiefe. Maria, nur wenige Schritte hinter ihm, konnte gerade noch rechtzeitig stehen bleiben.
Erschrocken blickte sie in die Schlucht. Thomas lag am Boden, atemlos und überrascht, aber anscheinend unverletzt. Er blickte auf und traf Marias besorgten Blick. »Ich bin okay!«, rief er ihr zu, seine Stimme hallte an den Wänden der Schlucht wider.
Maria atmete tief durch, versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie mussten einen Weg finden, Thomas aus der Schlucht zu holen. Sie blickten einander an, Thomas unten in der Schlucht, Maria oben am Rand. Sie wussten, dass sie eine Lösung finden würden. Sie mussten nur herausfinden, wie.
Maria überlegte fieberhaft. Ihre Augen wanderten über die harten, roten Felsen, die die Schlucht bildeten, und dann zurück zu dem verängstigten Gesicht von Thomas unten. Trotz seiner Versicherungen, dass es ihm gut ginge, konnte sie in seinen Augen Angst erkennen. Sie nahm einen tiefen Atemzug und rief hinunter: »Ich hole Hilfe!«
Ohne weitere Worte drehte sie sich um und begann, den Rückweg anzutreten. Jeder Schritt, den sie von der Schlucht entfernte, fühlte sich wie ein Schritt weg von Thomas. Aber sie wusste, sie hatte keine andere Wahl. Sie musste Hilfe holen.
In der Zwischenzeit versuchte Thomas, sich so gut wie möglich in der Schlucht zu orientieren. Er prüfte seine Umgebung auf mögliche Ausstiege, doch die steilen Wände boten keinen Anhaltspunkt.
Die Zeit verging, während Maria durch die Wüste rannte und Thomas in der Schlucht ausharrte. Die Sonne begann zu sinken, und die Hitze des Tages wich der Kühle der Nacht. Aber in der Dunkelheit waren auch neue Gefahren verborgen.
Als Maria schließlich die Ausläufer des surrealen Vergnügungsparks erreichte, war die Dunkelheit bereits hereingebrochen. Sie war erschöpft, aber entschlossen. Mit ihrer letzten Kraft rannte sie auf die verzerrten Lichter zu, in der Hoffnung, dort Hilfe zu finden.
Gleichzeitig versuchte Thomas, in der Schlucht warm zu bleiben. Die Kälte kroch in seine Kleidung und in seine Knochen. Sein Herz pochte in seiner Brust, als er auf Marias Rückkehr wartete.
Obwohl sie kilometerweit voneinander entfernt waren, waren sie in ihren Gedanken zusammen. In der Dunkelheit der Nacht, in der Unwirklichkeit der Wüste, standen sie einander bei. Sie waren entschlossen, diese Herausforderung gemeinsam zu überwinden.
Thomas’ Atem stieg in kleinen Wolken in die kalte Wüstenluft auf. Sein Blick folgte dem Pfad seiner Atemwolken, und dabei fiel sein Blick auf etwas Seltsames in der Dunkelheit. Etwas, das definitiv nicht in eine Wüstenschlucht gehörte.
Gebannt starrte er auf das unscheinbare Gebäude, das halb von Sand und Geröll bedeckt war, aber trotzdem unverkennbar menschengemacht. Es war nicht groß, vielleicht ein kleines Haus oder eine Hütte, und es hatte Fenster, durch die schwaches Licht drang. Aber das Seltsamste war das Schild über der Tür. Es war schwer zu lesen im fahlen Licht des Mondes, aber Thomas war sich sicher, dass dort »Geisteswissenschaftliches Institut« stand.
Eine Welle von Erleichterung durchflutete ihn. Vielleicht gab es hier Menschen. Vielleicht konnte er Hilfe finden. Mit neu gefundener Energie kroch er auf das Gebäude zu. Die Schmerzen in seinem Bein und die Kälte in seinen Knochen waren plötzlich zweitrangig.
Als er die Tür erreichte, konnte er kaum glauben, was er sah. Das Innere des Gebäudes sah aus wie eine Bibliothek, vollgestopft mit Büchern und Schriftrollen. Und in der Mitte, an einem Schreibtisch, saß eine Gestalt, so vertieft in ihre Lektüre, dass sie Thomas’ Ankunft nicht bemerkt hatte. Es war ein Mann mittleren Alters, mit Brille und wirrem Haar, der einen Workshop leitete.
In diesem Moment, in der Einsamkeit der Wüste und der Dunkelheit der Nacht, fand Thomas in der Schlucht ein geisteswissenschaftliches Institut.
Thomas stand am Rand des improvisierten Seminarsaals und beobachtete das emsige Treiben der Wissenschaftler. Die Hitze der Schlucht und der Anblick so vieler Menschen, die über Stummfilme debattierten, war surreal genug. Dann ergriff ein Dozent das Wort und ließ einen alten Stummfilm über einen Projektor laufen. Ein Rattern, das leise surrende Geräusch der Maschine, gefolgt von flackernden Bildern an der kahlen Wand.
Die Szenen waren simplistisch, doch sie trafen Thomas wie ein Schlag. Eine Mutter, die ihr Kind an der Hand hielt, ein lachender Mann mit Hut, der mit einem Stock tanzte, und dann das Bild einer alten Straßenbahn, die durch eine verschneite Landschaft fuhr.
Seine Kehle schnürte sich zu. Diese Bilder, so vertraut und doch so fremd. Er war wieder ein kleiner Junge, der neben seinem Großvater auf dem Sofa saß und diesem Film zuschaute. Der Geruch von Tabak und alten Büchern, das weiche Gefühl der Wolldecke auf seinen Beinen.
Ein Rascheln neben ihm ließ ihn aufblicken. Die umstehenden Gelehrten hatten bemerkt, dass er gerührt war, und schauten ihn erwartungsvoll an. Ein älterer Professor mit grauem Bart und einer runden Brille nickte ihm ermutigend zu. »Erzählen Sie uns davon.«
Thomas räusperte sich. »Ich … Ich kenne diesen Film. Ich habe ihn als Kind gesehen, mit meinem Großvater.«
Der Raum war still. Dann sagte der Professor leise: »Das ist die Magie des Kinos, junger Mann. Es sind nicht immer die großen epischen Geschichten, die uns bewegen. Manchmal sind es die kleinen, alltäglichen Momente, die uns an Orte und Zeiten zurückführen, die wir fast vergessen hatten.«
Die Gruppe nickte zustimmend, und Thomas spürte, wie eine Last von ihm abfiel. Inmitten dieser unwahrscheinlichen Begegnung in einer Schlucht hatte er eine Verbindung zu seiner Vergangenheit gefunden, die er nie erwartet hätte.
Die Schlucht war still, abgesehen von dem leisen Flüstern des Wüstenwindes und dem gelegentlichen Kichern einiger Workshop-Teilnehmer. Thomas, nach seiner emotionalen Erzählung immer noch in Gedanken versunken, blickte hinauf zum klaren, sternenübersäten Himmel.
Plötzlich zuckte ein leuchtend roter Blitz über den Horizont. Dann noch einer. Und noch einer. Leuchtraketen. Thomas’ Herz schlug schneller, als er die glühenden Flares erkannte. Es konnte nur Maria sein.
Ein Hauch von Hoffnung durchströmte ihn, als er aufstand und sich auf den Weg in Richtung der Leuchtsignale machte. Andere Workshop-Teilnehmer folgten seinem Blick, ihre Gespräche verstummten, als sie die Bedeutung der Signale verstanden.
In der Ferne, fast übertönt vom Pulsieren seines eigenen Herzens, hörte Thomas das vertraute Rattern von Helikopterrotoren.
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Dieser Text entstand exklusiv für die NEUE RUNDSCHAU 2023/4